Die Freiheit, die ich meine – Zur Gestaltung des Lebens im Rahmen eines Optimalszenarios!
Sonja
Radatz (2015). Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet. München (GER), Kösel
Verlag
Das
Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt – www.koesel.de
Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)
Stichworte: Relationaler Ansatz, Management, Coaching, Leben,
Lebensbewältigung, Lebenskompetenz, Rezension
Sich selbst mit Freiheitsgraden ausstatten – Über die Gestaltbarkeit des eigenen Erfolgs
Freiheit ist mehr als nur ein Begriff, es ist eine
Erfahrung, die im Leben von uns Menschen eine ganz konkrete Ausprägung hat. Es
ist also mehr, als bloß eine Stimmung oder ein Gefühl, es eine Lebenserfahrung.
In der Literatur wird dieses Thema immer wieder aufgegriffen – zuletzt in dem
Buch von Jocelyn Saucier, die sich der Frage annimmt, wie es mit der Freiheit im
Alter bestellt ist. „Man ist frei, wenn man sich aussuchen kann, wie man lebt.
Und wie man stirbt.“ (Saucier 2015,
7) – so lautet dann auch das Resümee der Protagonisten. Sich aussuchen zu
können, wie man sein Leben lebt, hat viel damit zu tun, wie man mit den
Widrigkeiten des Lebens umgeht. "Man muss wissen, wie man gewinnt und wie
man verliert. Manchmal ist es gut, wenn man verliert. Dann versteht man, wie
hart, aber auch lohnend es ist, zu gewinnen." (Luiz Enrique
-Fussballtrainer des FC Barcelona nach der Niederlage im spanischen
Superpokal 2015) Es ist kein Zufall, das gerade in kompetitiven Bereichen des
Lebens, wie dem professionellen Sport, verstärkt über die Gestaltbarkeit des
Erfolgs nachgedacht wird. Aber nicht nur über den Zuwachs und den Verlust von
etwaigen Freiheitsgraden wird nachgedacht, auch über die individuelle
Verantwortung, die damit einhergeht: "Alles, was vor fünf Sekunden
passiert ist, kannst du nicht ändern. Aber du kannst in den nächsten fünf
Sekunden lachen und glücklich sein."(Patrick
Reiter, österreichischer Judoka und mehrfacher Medaillengewinner - http://derstandard.at/2000020802903/Patrick-Reiter-Sanfter-Weg-nach-harter-Landung)
Mit der Freiheit kommt die Verantwortung und damit
auch das Nachdenken über den Stellenwert, den die eigenen Handlungen haben. „Denn
als menschliche Wesen, die ein Bewusstsein ihres eigenen Lebens haben, sind wir
unvermeidlich mit der Frage nach dem richtigen oder guten oder sinnvollen Leben
konfrontiert und müssten damit ein Interesse daran haben zu wissen, worin
dieses besteht und wodurch es zu erreichen ist.“ (Wolf 2013, 12) Das richtige und gute Leben wird aber nur durch
Veränderung erreichbar sein – es gilt die Umwelt zu verändern, unser Handeln,
unsere Glaubenssätze, unsere Werte und Bedürfnisse, unsere Identitäten und
schließlich auch den Sinn, unter dem wir all das subsummieren. „Of
all of the species on earth, we human beings are the ones who specialize in
voluntary mind change; we change the mind of others, we change our own minds.” (Gardner 2006, 199)
Die Bereitschaft sich und andere zu verändern – und
hier kann man auch von der Bereitschaft sprechen, sich und anderes zu
gestalten, wird immer starker gefordert, wenn Veränderungen schnell erfolgen.
Gerade in der Arbeitswelt treten Innovationen in immer rascher wechselnden
Zyklen auf. “To do good work is a laudable goal, one difficult to
achieve even under favorable circumstances. In the modern world scarcely anyone
is sealed off from rampant and rapid innovations or from intrusive market
forces.” (Gardner 2002, 4)
„Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet“ – Sonja
Radatz postuliert eine Opposition und es stellt sich die Frage, wie
aussagekräftig dieses Bild tatsächlich sein kann.
Zur Autorin Sonja Radatz
Dr. Sonja Radatz ist die Begründerin des Relationalen
Ansatzes und leitet seit 1998 das IRBW Institut für Relationale Beratung und
Weiterbildung in Wien.Mit ihrem Management-Ansatz unterstützt sie Individuen,
Vereine und Unternehmen. Ihre Ideen publiziert sie regelmäßig in Büchern, in
Vorträgen und auch als Gast-Dozentin an mehreren Universitäten. Als
Herausgeberin der Zeitschrift LO Lernende Organisation (http://lo.irbw.net) sorgt sie auch für eine
Popularisierung ihrer Ideen.
Nähere Details finden sich an dieser Stelle: www.irbw.net
In einem Blog schreibt Sonja Radatz immer wieder über
aktuelle Entwicklungen ihres Ansatzes und über verschiedene
Anwendungsmöglichkeiten: www.irbw.net/radatz-inspiriert-alle-eintraege.html
Über das Gestalten des Lebens – privat wie beruflich!
Das Buch ist in zwei inhaltliche Teile gegliedert. Im
ersten Teil stellt Sonja Radatz ihren Relationalen Ansatz näher vor und geht
auf einzelne Grundannahmen und Elemente ein, die diesem Zugang seinen Charakter
verleihen. Im zweiten Teil werden von der Autorin praxisnahe Beispiele dafür
geliefert, wie der Relationale Ansatz ins tägliche Leben integriert werden kann,
es ist der umfassendere Teil des Buches, was es damit auch schließlich zu einem
Anwendungsbuch macht.
Den Einstieg schafft Sonja Radatz mit der Postulierung
einer Opposition – „Es gibt zu viele Situationen, in denen wir es einfach
aufgeben zu gestalten: wir fühlen uns ausgeliefert, wir wissen nicht, wo wir
mit einer Veränderung beginnen sollten, weil uns die Hürde zu groß erscheint
oder weil, wie wir überzeugt sind, zu viel notwendig wäre, um eine
befriedigende Lösung herbeizuführen.“ (Radatz
2015, 12) Am Anfang steht offenbar ein Gefühl der Schwäche und des Versagens.
Und für dieses Gefühl bekommt man von der Autorin auch gleich die Verantwortung
zugeschoben – „Sie werden von mir verantwortlich gemacht für ihr persönliches
Glück, für ihren persönlichen Erfolg, für ihr Leben.“ (Radatz 2015, 13)
Diese Zuschreibung von Verantwortung für den Ausgang von
Ereignissen wird durch den Relationalen Ansatz begründet, deren Beschreibung
der Grundannahmen den Hauptteil des ersten Teils des Buches ausmacht. Im
Relationalen Ansatz wird von acht Grundannahmen gesprochen: Die erste
Grundannahme besagt, dass die Welt eine Welt der Relationen ist. Keine
Absolutheiten sind beobachtbar, alles verläuft in ständiger Veränderung und der
wechselnden Bezugnahme aufeinander. In dieser Welt stellt sich den handelnden
Akteuren stets die Frage: Gestalten oder Gestaltet-Werden. „“Gestalten“ heißt,
„etwas anderes zu tun“, den gewünschten Zustand mit einem anderen Vorgehen
(oder Lassen im Sinne von „Zulassen“) zu erreichen.“ (Radatz 2015, 29) – das ist die zweite Grundannahme. Drittens – und
hier wird auf die erste Grundannahme Bezug genommen – gibt es keine
Objektivität, kein Richtig oder Falsch. Und damit bekommt die individuelle
Verantwortlichkeit einen sehr großen Stellenwert, was der vierten Grundannahme
entspricht. Diese Verantwortung übernimmt man gemäß dem Relationalen Ansatz
nicht nur für das eigene Verhalten, sondern vor allem für das Ergebnis –
Ergebnis- anstatt Verhaltens-/Handlungsfokus wird diese fünfte Grundannahme
benannt. Diese Verantwortung in diesem Ausmaß übernehmen zu können, braucht
ausreichendes Vertrauen in sich und andere – womit die sechste Grundannahme
angesprochen ist. Sonja Radatz sieht darin überhaupt die zentrale Grundannahme
dafür, überhaupt gestalten zu können: „Meine Erfahrung ist nicht nur, dass das
Vertrauen in sich selbst die Einschätzung der Gestaltungsmöglichkeiten
wesentlich beeinflusst und das der jeweilige Grad des Vertrauens in das
Gegenüber Gestaltungsmöglichkeiten maßgeblich begrenzt, sondern dass Vertrauen
in sich beziehungsweise andere auch die zentrale Grundlage ist, um überhaupt
gestalten zu können.“ (Radatz 2015,
35) Durch das Gestalten entstehen Ergebnisse – die siebente Grundannahme bringt
die Unterscheidung auf zwischen Ergebnisse zu leben und Ergebnisse zu
„erreichen“ – und spricht daher den integrativen Aspekt des Gestaltens an. In
der achten Grundannahme wird nochmals betont, dass es vor allem darum geht,
sich über die Rahmenbedingungen klar zu sein, um in der Ausgestaltung dieses
Rahmens nicht an vorher festgelegte Pläne oder Budgets gebunden zu sein.
Damit lassen sich auch die drei Grundpfeiler des
Relationalen Ansatzes besser verstehen: Der Relationale Ansatz spannt ein
Handlungsfeld auf, das aus dem Zusammenspiel von Ergebnisfokussierung (=“Leben
des Optimalszenarios“), der Verpflichtung zur Gestaltung und der laufenden
Veränderung der Situationen gebildet wird. (vgl. Radatz 2015, 43) Dieses Handlungsfeld benötigt laufende Kontrolle
(Optimierung), um das Optimalszenario schließlich auch erreichen zu können.
Dieses ständige Hinterfragen und Kontrollieren wird im Rahmen des Relationalen
Selbstmanagements diskutiert (Radatz
2015, 56)
Damit ist auch eine permanente Selbstkontrolle verbunden,
was sich darin zeigt, „wie wichtig es ist, in jeder Minute des Lebens zu
prüfen, ob sie sich selbst noch in die Augen schauen und die eigne
Persönlichkeit darin entdecken können.“ (Radatz
2015, 131)
Schematisch kulminiert sich das alles im sogenannten
Identitätskreis (Radatz 2015, 77),
der zehn Felder beinhaltet: Ziele, Strategie, Vision, Mission, Kernkompetenzen,
Werte, Leitlinien des Handelns, Grundannahmen und Glaubenssätze, Geschichten
und Mythen, Do’s and Dont’s. Dieser Identitätskreis ist eine Beschreibung
dessen, was uns als Individuen auszeichnet und wie wir unser Leben gestalten.
Wie sich das Leben Tag für Tag gestalten lässt, darüber
gibt der zweite Teil des Buches konkrete Hinweise – es werden Beispiele dafür
gebracht, wie sich Ziele formulieren lassen, wie der eigene Handlungsrahmen
abgesteckt werden kann, oder wie sich der individuelle Fokus schärfen lässt. Im
Grunde läuft es darauf hinaus: „Tun Sie, was Sie wirklich tun wollen:“ (Radatz 2015, 176)
Fazit
„Haben wir eine Zukunft? Nein, wir haben keine.“ (Radatz 2015, 180) – Die Zukunft liegt
nach Sonja Radatz nicht wie ein fertig gebackener Kuchen für uns bereit, den
wir bloß noch aufzuschneiden und zu verzehren hätten. Die Zukunft ist nicht
ausgestaltet. Was zu gestalten ist, ist die Gegenwart – darin können wir uns
Tag für Tag üben, und dabei unsere Verantwortlichkeit leben, die schließlich
auch unsere Freiheit ausmacht.
Das Buch lebt von der persönlichen Überzeugtheit der
Autorin, dass sie mit ihrem Relationalen Ansatz ein passendes Bild für die
Gestaltbarkeit individueller Lebensprozesse gefunden hat. Leider bleiben dabei
wichtige theoretische Fragen auf der Strecke. So wird zum Beispiel nicht
zwischen Verhalten und Gestalten differenziert, eine Unterscheidung die in der
Philosophie bzw. Psychologie zwischen Verhalten und Handlung gezogen wird. Der
postulierte Relativismus wird auf die sokratische Tradition und Überlieferung
bezogen, was inhaltlich nicht haltbar ist – Sokrates mag zwar, dem Wissen
gegenüber skeptisch gewesen sein, doch waren bestimmte Werte für ihn nicht
verhandelbar, also nicht relativ – Sonja Radatz unterschlägt das, weil sie sich
sonst einer genaueren Diskussion ihres Relativismus stellen müsste.
Dementsprechend fehlt es im Buch auch einer Relativierung des Relationalen
Ansatzes. Man gewinnt daher schnell den Eindruck, dass es vor allem um das
Überzeugen durch Motivation geht – Slogans und Postulate werden vorgebracht,
eine detaillierte Auseinandersetzung würde die Geschwindigkeit reduzieren und
die Energie, die diesen Mantras innewohnt, mindern. Diesem Zugang ist es wohl
auch geschuldet, dass der Selbstdarstellung von Sonja Radatz viel Raum gegeben
wird – der Relationale Ansatz ist ihre Entwicklung, und wenn inhaltliche
Diskussion ausgespart wird, muss die eigene Persönlichkeit stärker in den Mittelpunkt
gerückt werden – Namedropping kommt häufig vor: Mit wem Sonja Radatz bereits
gearbeitet hat, welchen Konferenzen sie beigewohnt hat, wer ein guter Freund
von ihr sei, und so weiter. Gerade in einem Ansatz, der sich dem Vertrauen als
grundlegende Säule verschrieben hat, nimmt es Wunder aus, das auf den Begriff
der Loyalität nicht eingegangen wird. Es wird auch nicht diskutiert, aus
welchen Quellen die Individuen das notwendige Vertrauen schöpfen können, wenn
die Reziprozität nicht ausreichend berücksichtigt wird. Ein Vertrauensvorschuss
ist ja kein Ergebnis, sondern eine prozessgesteuerte Grundhaltung – da sind
Aussagen und Zitate wie zum Beispiel: „Was kümmert mich mein Geschwätz von
gestern – ab jetzt verhalte ich mich anders, weil das aus meiner Sicht
sinnvoller ist.“ (Sonja Radatz
zitiert einen bekannten Spruch eines ehemaligen deutschen Politikers – Radatz
2015, 201), nicht vertrauensbildend. Und darüber hinaus wird auch nicht zur
Sprache gebracht, dass permanentes Selbstmonitoring gegen die nachhaltige
Zufriedenheit von Menschen spricht.
Nun, diese Schwächen des Relationalen Ansatzes selbst
werden im Buch selbst viel zu wenig thematisiert.
Was bleibt: Sich der Freiheitsgrade bewusst sein, die
man verantwortungsvoll selbst gestalten kann, ist eine wichtige Quelle eigener
Freiheit Sonja Radatz liefert in ihrem Buch ein ganz brauchbares Bild dafür, in
welchem Verhältnis Verantwortung und Freiheit stehen können, und wie sich ein
stimmiges Leben einrichten lässt. Dabei punktest sie vor allem durch ihre
Präsenz, die auch im Text sehr spürbar wird – die Leserinnen und Leser dürfen
aber nicht zu viele Nachfragen stellen, denn sonst sind Glanz und Schimmer
schnell ab.
Harald G. Kratochvila, Wien
Verwendete Literatur:
Bauer, J. (2015). Selbststeuerung - Die
Wiederentdeckung des freien Willens. München (GER), Karl Blessing Verlag
Gardner, H. (2006). Changing Minds - The Art and
Science of Changing Our Own and Other People's Mind. Boston, MA (USA), Harvard
Business School Press
Gardner, H., et al. (2002 [2001]). Good Work - When
Excellence and Ethics Meet. New York, NY (USA), Basic Books
Saucier, J. (2015 [2011]). Ein Leben mehr. Berlin
(GER), Insel Verlag
Wolf, U. (2013 [1996]). Die Suche nach dem guten Leben
- Einführung in Platons Frühdialoge. Frankfurt/Main (GER), Vittorio Klostermann
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