Dienstag, 25. August 2015

Rezension: Sonja Radatz – Gestalten Sie.



Die Freiheit, die ich meine – Zur Gestaltung des Lebens im Rahmen eines Optimalszenarios!


Sonja Radatz (2015). Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet. München (GER), Kösel Verlag

Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt – www.koesel.de

Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)

Stichworte: Relationaler Ansatz, Management, Coaching, Leben, Lebensbewältigung, Lebenskompetenz, Rezension 

Sich selbst mit Freiheitsgraden ausstatten – Über die Gestaltbarkeit des eigenen Erfolgs



H. G. Kratochvila - Rezension: Sonja Radatz - Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet.„Der Ort des freien Willens ist die reale Welt.“ (Bauer 2015, 168)

Freiheit ist mehr als nur ein Begriff, es ist eine Erfahrung, die im Leben von uns Menschen eine ganz konkrete Ausprägung hat. Es ist also mehr, als bloß eine Stimmung oder ein Gefühl, es eine Lebenserfahrung. In der Literatur wird dieses Thema immer wieder aufgegriffen – zuletzt in dem Buch von Jocelyn Saucier, die sich der Frage annimmt, wie es mit der Freiheit im Alter bestellt ist. „Man ist frei, wenn man sich aussuchen kann, wie man lebt. Und wie man stirbt.“ (Saucier 2015, 7) – so lautet dann auch das Resümee der Protagonisten. Sich aussuchen zu können, wie man sein Leben lebt, hat viel damit zu tun, wie man mit den Widrigkeiten des Lebens umgeht. "Man muss wissen, wie man gewinnt und wie man verliert. Manchmal ist es gut, wenn man verliert. Dann versteht man, wie hart, aber auch lohnend es ist, zu gewinnen." (Luiz Enrique  -Fussballtrainer des FC Barcelona nach der Niederlage im spanischen Superpokal 2015) Es ist kein Zufall, das gerade in kompetitiven Bereichen des Lebens, wie dem professionellen Sport, verstärkt über die Gestaltbarkeit des Erfolgs nachgedacht wird. Aber nicht nur über den Zuwachs und den Verlust von etwaigen Freiheitsgraden wird nachgedacht, auch über die individuelle Verantwortung, die damit einhergeht: "Alles, was vor fünf Sekunden passiert ist, kannst du nicht ändern. Aber du kannst in den nächsten fünf Sekunden lachen und glücklich sein."(Patrick Reiter, österreichischer Judoka und mehrfacher Medaillengewinner - http://derstandard.at/2000020802903/Patrick-Reiter-Sanfter-Weg-nach-harter-Landung)

Mit der Freiheit kommt die Verantwortung und damit auch das Nachdenken über den Stellenwert, den die eigenen Handlungen haben. „Denn als menschliche Wesen, die ein Bewusstsein ihres eigenen Lebens haben, sind wir unvermeidlich mit der Frage nach dem richtigen oder guten oder sinnvollen Leben konfrontiert und müssten damit ein Interesse daran haben zu wissen, worin dieses besteht und wodurch es zu erreichen ist.“ (Wolf 2013, 12) Das richtige und gute Leben wird aber nur durch Veränderung erreichbar sein – es gilt die Umwelt zu verändern, unser Handeln, unsere Glaubenssätze, unsere Werte und Bedürfnisse, unsere Identitäten und schließlich auch den Sinn, unter dem wir all das subsummieren. „Of all of the species on earth, we human beings are the ones who specialize in voluntary mind change; we change the mind of others, we change our own minds.” (Gardner 2006, 199)

Die Bereitschaft sich und andere zu verändern – und hier kann man auch von der Bereitschaft sprechen, sich und anderes zu gestalten, wird immer starker gefordert, wenn Veränderungen schnell erfolgen. Gerade in der Arbeitswelt treten Innovationen in immer rascher wechselnden Zyklen auf. “To do good work is a laudable goal, one difficult to achieve even under favorable circumstances. In the modern world scarcely anyone is sealed off from rampant and rapid innovations or from intrusive market forces.” (Gardner 2002, 4)

„Gestalten Sie. Sonst werden Sie gestaltet“ – Sonja Radatz postuliert eine Opposition und es stellt sich die Frage, wie aussagekräftig dieses Bild tatsächlich sein kann. 

Zur Autorin Sonja Radatz

Dr. Sonja Radatz ist die Begründerin des Relationalen Ansatzes und leitet seit 1998 das IRBW Institut für Relationale Beratung und Weiterbildung in Wien.Mit ihrem Management-Ansatz unterstützt sie Individuen, Vereine und Unternehmen. Ihre Ideen publiziert sie regelmäßig in Büchern, in Vorträgen und auch als Gast-Dozentin an mehreren Universitäten. Als Herausgeberin der Zeitschrift LO Lernende Organisation (http://lo.irbw.net) sorgt sie auch für eine Popularisierung ihrer Ideen. 

Nähere Details finden sich an dieser Stelle: www.irbw.net
In einem Blog schreibt Sonja Radatz immer wieder über aktuelle Entwicklungen ihres Ansatzes und über verschiedene Anwendungsmöglichkeiten: www.irbw.net/radatz-inspiriert-alle-eintraege.html 

Über das Gestalten des Lebens – privat wie beruflich!

Das Buch ist in zwei inhaltliche Teile gegliedert. Im ersten Teil stellt Sonja Radatz ihren Relationalen Ansatz näher vor und geht auf einzelne Grundannahmen und Elemente ein, die diesem Zugang seinen Charakter verleihen. Im zweiten Teil werden von der Autorin praxisnahe Beispiele dafür geliefert, wie der Relationale Ansatz ins tägliche Leben integriert werden kann, es ist der umfassendere Teil des Buches, was es damit auch schließlich zu einem Anwendungsbuch macht.

Den Einstieg schafft Sonja Radatz mit der Postulierung einer Opposition – „Es gibt zu viele Situationen, in denen wir es einfach aufgeben zu gestalten: wir fühlen uns ausgeliefert, wir wissen nicht, wo wir mit einer Veränderung beginnen sollten, weil uns die Hürde zu groß erscheint oder weil, wie wir überzeugt sind, zu viel notwendig wäre, um eine befriedigende Lösung herbeizuführen.“ (Radatz 2015, 12) Am Anfang steht offenbar ein Gefühl der Schwäche und des Versagens. Und für dieses Gefühl bekommt man von der Autorin auch gleich die Verantwortung zugeschoben – „Sie werden von mir verantwortlich gemacht für ihr persönliches Glück, für ihren persönlichen Erfolg, für ihr Leben.“ (Radatz 2015, 13)

Diese Zuschreibung von Verantwortung für den Ausgang von Ereignissen wird durch den Relationalen Ansatz begründet, deren Beschreibung der Grundannahmen den Hauptteil des ersten Teils des Buches ausmacht. Im Relationalen Ansatz wird von acht Grundannahmen gesprochen: Die erste Grundannahme besagt, dass die Welt eine Welt der Relationen ist. Keine Absolutheiten sind beobachtbar, alles verläuft in ständiger Veränderung und der wechselnden Bezugnahme aufeinander. In dieser Welt stellt sich den handelnden Akteuren stets die Frage: Gestalten oder Gestaltet-Werden. „“Gestalten“ heißt, „etwas anderes zu tun“, den gewünschten Zustand mit einem anderen Vorgehen (oder Lassen im Sinne von „Zulassen“) zu erreichen.“ (Radatz 2015, 29) – das ist die zweite Grundannahme. Drittens – und hier wird auf die erste Grundannahme Bezug genommen – gibt es keine Objektivität, kein Richtig oder Falsch. Und damit bekommt die individuelle Verantwortlichkeit einen sehr großen Stellenwert, was der vierten Grundannahme entspricht. Diese Verantwortung übernimmt man gemäß dem Relationalen Ansatz nicht nur für das eigene Verhalten, sondern vor allem für das Ergebnis – Ergebnis- anstatt Verhaltens-/Handlungsfokus wird diese fünfte Grundannahme benannt. Diese Verantwortung in diesem Ausmaß übernehmen zu können, braucht ausreichendes Vertrauen in sich und andere – womit die sechste Grundannahme angesprochen ist. Sonja Radatz sieht darin überhaupt die zentrale Grundannahme dafür, überhaupt gestalten zu können: „Meine Erfahrung ist nicht nur, dass das Vertrauen in sich selbst die Einschätzung der Gestaltungsmöglichkeiten wesentlich beeinflusst und das der jeweilige Grad des Vertrauens in das Gegenüber Gestaltungsmöglichkeiten maßgeblich begrenzt, sondern dass Vertrauen in sich beziehungsweise andere auch die zentrale Grundlage ist, um überhaupt gestalten zu können.“ (Radatz 2015, 35) Durch das Gestalten entstehen Ergebnisse – die siebente Grundannahme bringt die Unterscheidung auf zwischen Ergebnisse zu leben und Ergebnisse zu „erreichen“ – und spricht daher den integrativen Aspekt des Gestaltens an. In der achten Grundannahme wird nochmals betont, dass es vor allem darum geht, sich über die Rahmenbedingungen klar zu sein, um in der Ausgestaltung dieses Rahmens nicht an vorher festgelegte Pläne oder Budgets gebunden zu sein.

Damit lassen sich auch die drei Grundpfeiler des Relationalen Ansatzes besser verstehen: Der Relationale Ansatz spannt ein Handlungsfeld auf, das aus dem Zusammenspiel von Ergebnisfokussierung (=“Leben des Optimalszenarios“), der Verpflichtung zur Gestaltung und der laufenden Veränderung der Situationen gebildet wird. (vgl. Radatz 2015, 43) Dieses Handlungsfeld benötigt laufende Kontrolle (Optimierung), um das Optimalszenario schließlich auch erreichen zu können. Dieses ständige Hinterfragen und Kontrollieren wird im Rahmen des Relationalen Selbstmanagements diskutiert (Radatz 2015, 56)

Damit ist auch eine permanente Selbstkontrolle verbunden, was sich darin zeigt, „wie wichtig es ist, in jeder Minute des Lebens zu prüfen, ob sie sich selbst noch in die Augen schauen und die eigne Persönlichkeit darin entdecken können.“ (Radatz 2015, 131)
Schematisch kulminiert sich das alles im sogenannten Identitätskreis (Radatz 2015, 77), der zehn Felder beinhaltet: Ziele, Strategie, Vision, Mission, Kernkompetenzen, Werte, Leitlinien des Handelns, Grundannahmen und Glaubenssätze, Geschichten und Mythen, Do’s and Dont’s. Dieser Identitätskreis ist eine Beschreibung dessen, was uns als Individuen auszeichnet und wie wir unser Leben gestalten.

Wie sich das Leben Tag für Tag gestalten lässt, darüber gibt der zweite Teil des Buches konkrete Hinweise – es werden Beispiele dafür gebracht, wie sich Ziele formulieren lassen, wie der eigene Handlungsrahmen abgesteckt werden kann, oder wie sich der individuelle Fokus schärfen lässt. Im Grunde läuft es darauf hinaus: „Tun Sie, was Sie wirklich tun wollen:“ (Radatz 2015, 176) 

Fazit

„Haben wir eine Zukunft? Nein, wir haben keine.“ (Radatz 2015, 180) – Die Zukunft liegt nach Sonja Radatz nicht wie ein fertig gebackener Kuchen für uns bereit, den wir bloß noch aufzuschneiden und zu verzehren hätten. Die Zukunft ist nicht ausgestaltet. Was zu gestalten ist, ist die Gegenwart – darin können wir uns Tag für Tag üben, und dabei unsere Verantwortlichkeit leben, die schließlich auch unsere Freiheit ausmacht.

Das Buch lebt von der persönlichen Überzeugtheit der Autorin, dass sie mit ihrem Relationalen Ansatz ein passendes Bild für die Gestaltbarkeit individueller Lebensprozesse gefunden hat. Leider bleiben dabei wichtige theoretische Fragen auf der Strecke. So wird zum Beispiel nicht zwischen Verhalten und Gestalten differenziert, eine Unterscheidung die in der Philosophie bzw. Psychologie zwischen Verhalten und Handlung gezogen wird. Der postulierte Relativismus wird auf die sokratische Tradition und Überlieferung bezogen, was inhaltlich nicht haltbar ist – Sokrates mag zwar, dem Wissen gegenüber skeptisch gewesen sein, doch waren bestimmte Werte für ihn nicht verhandelbar, also nicht relativ – Sonja Radatz unterschlägt das, weil sie sich sonst einer genaueren Diskussion ihres Relativismus stellen müsste. Dementsprechend fehlt es im Buch auch einer Relativierung des Relationalen Ansatzes. Man gewinnt daher schnell den Eindruck, dass es vor allem um das Überzeugen durch Motivation geht – Slogans und Postulate werden vorgebracht, eine detaillierte Auseinandersetzung würde die Geschwindigkeit reduzieren und die Energie, die diesen Mantras innewohnt, mindern. Diesem Zugang ist es wohl auch geschuldet, dass der Selbstdarstellung von Sonja Radatz viel Raum gegeben wird – der Relationale Ansatz ist ihre Entwicklung, und wenn inhaltliche Diskussion ausgespart wird, muss die eigene Persönlichkeit stärker in den Mittelpunkt gerückt werden – Namedropping kommt häufig vor: Mit wem Sonja Radatz bereits gearbeitet hat, welchen Konferenzen sie beigewohnt hat, wer ein guter Freund von ihr sei, und so weiter. Gerade in einem Ansatz, der sich dem Vertrauen als grundlegende Säule verschrieben hat, nimmt es Wunder aus, das auf den Begriff der Loyalität nicht eingegangen wird. Es wird auch nicht diskutiert, aus welchen Quellen die Individuen das notwendige Vertrauen schöpfen können, wenn die Reziprozität nicht ausreichend berücksichtigt wird. Ein Vertrauensvorschuss ist ja kein Ergebnis, sondern eine prozessgesteuerte Grundhaltung – da sind Aussagen und Zitate wie zum Beispiel: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern – ab jetzt verhalte ich mich anders, weil das aus meiner Sicht sinnvoller ist.“ (Sonja Radatz zitiert einen bekannten Spruch eines ehemaligen deutschen Politikers – Radatz 2015, 201), nicht vertrauensbildend. Und darüber hinaus wird auch nicht zur Sprache gebracht, dass permanentes Selbstmonitoring gegen die nachhaltige Zufriedenheit von Menschen spricht.

Nun, diese Schwächen des Relationalen Ansatzes selbst werden im Buch selbst viel zu wenig thematisiert.

Was bleibt: Sich der Freiheitsgrade bewusst sein, die man verantwortungsvoll selbst gestalten kann, ist eine wichtige Quelle eigener Freiheit Sonja Radatz liefert in ihrem Buch ein ganz brauchbares Bild dafür, in welchem Verhältnis Verantwortung und Freiheit stehen können, und wie sich ein stimmiges Leben einrichten lässt. Dabei punktest sie vor allem durch ihre Präsenz, die auch im Text sehr spürbar wird – die Leserinnen und Leser dürfen aber nicht zu viele Nachfragen stellen, denn sonst sind Glanz und Schimmer schnell ab.

Harald G. Kratochvila, Wien 

Verwendete Literatur:

Bauer, J. (2015). Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens. München (GER), Karl Blessing Verlag

Gardner, H. (2006). Changing Minds - The Art and Science of Changing Our Own and Other People's Mind. Boston, MA (USA), Harvard Business School Press

Gardner, H., et al. (2002 [2001]). Good Work - When Excellence and Ethics Meet. New York, NY (USA), Basic Books

Saucier, J. (2015 [2011]). Ein Leben mehr. Berlin (GER), Insel Verlag

Wolf, U. (2013 [1996]). Die Suche nach dem guten Leben - Einführung in Platons Frühdialoge. Frankfurt/Main (GER), Vittorio Klostermann

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