Lenoir,
F. (2015 [2013]). Über das Glück - Eine philosophische Reise. München (GER),
Deutscher Taschenbuch Verlag
Das Buch wurde freundlicherweise vom verlag zur Verfügung gestellt: www.dtv.de
Zur Verlagsseites des Buches: www.dtv.de/buecher/ueber_das_glueck_26074.html
Zur Verlagsseites des Buches: www.dtv.de/buecher/ueber_das_glueck_26074.html
Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)
Stichworte: Glück, Zufriedenheit, Philosophie, Verlust, Lebenskompetenz,
Rezension
Auf der Suche nach dem Glück und der Weg der Philosophie
Gleichgültigkeit und Glück scheinen definitiv nicht
zueinander zu passen – und das Changieren zwischen diesen beiden Extremen ist
mit endlosen Mühen verbunden - „Unser Weg baut sich aus Verlusten, die heimlich
zu Gewinnen werden.“ (Martin Buber zitiert nach Bennent-Vahle 2011, 111) Daran schließen sich einige Fragen an: Ist
das Glück etwas, das einem plötzlich zustoßen kann, ist es so etwas, wie eine
Erkenntnis zu der man gelangen könnte? Oder ist es mehr, wie Schmerz, der
präsent ist oder eben nicht – eine Kategorie des Bewusstseins? Eine erste
Annäherung dazu lässt sich bei William Shakespeare finden. Er legt einem seiner
Figuren den Satz in den Mund: “An sich ist kein Ding weder gut noch schlecht;
das Denken macht es erst dazu.“ (zitiert nach Watzlawick et al. 1994, 119)
Das Glück ist also zunächst einmal eine Denkkategorie.
Aber ist es eher ein Problem, oder doch die Lösung eines Problems? „In
science, finding the right formulation of a problem is often the key to solving
it …“ (Hawking 2013, 106) Es scheint
viel von der Formulierung des Sachverhalts abzuhängen, welche Schlüsse sich
daraus ziehen lassen. Beim Psychologen und Psychotherapeuten Paul Watzlawick findet
sich eine wichtige Unterscheidung dazu – die Unterscheidung zwischen
Schwierigkeiten und Problemen. Schwierigkeiten und Probleme umfassen zwei
voneinander zu unterscheidende Möglichkeits- und damit Lösungsräume – bei
Schwierigkeiten sind Lösungen systemimmanent möglich (sogenannte Wandlungen 1.
Ordnung), bei Problemen sind Lösungen nur außerhalb des Systems möglich
(Wandlungen 2. Ordnung) (vgl. Watzlawick
et al. 1994, 58)
Ähnliche Begriffe mögen vielen vertraut sein: Problemtrance,
Lösungstrance, Problemhorizont, Lösungshorizont – die systemische
Psychotherapie verwendet diese Begriffe und Vorstellungen, um darauf aufmerksam
zu machen, dass es oftmals der eigene Denkrahmen ist, der Probleme und Lösungen
vorgibt – in der Lösungsfokussierten Kurzzeittherapie wird aber ein gewisser
Unterschied zwischen Problem und Lösung gesehen: „Die Lösung hängt nicht
zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen.“ (de Shazer/Dolan 2011, 23)
Die Reise zum Glück scheint eine philosophische zu
werden …
Zum Autor – Frédéric Lenoir
Frédéric Lenoir ist ein sehr breit interessierter Mann – der
eigenen Beschreibung von ihm folgend ist er Philosoph, Soziologe,
Religionshistoriker, Forschungsmitarbeiter an einer renommierten französischen
Hochschule, dem EHESS - l’Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales - http://www.ehess.fr (auch diese Seite ist zum
Teil auf Englisch verfügbar). Er gestaltet eine wöchentliche Radiosendung,
schreibt Essays, Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Comics und vieles
mehr. Auf seinem
Internetauftritt: www.fredericlenoir.com
finden sich eine Fülle an Informationen zu seiner Person und seinen
vielfältigen Tätigkeiten – die französische Hauptseite ist sehr umfangreich,
die englischsprachigen Beiträge dagegen sehr kursorisch.
Ein in Französisch geführtes Interview findet sich hier(
leider finden sich keine Videos in Deutsch oder Englisch): http://www.dailymotion.com/video/x16knv9_frederic-lenoir-le-bonheur-c-est-aimer-la-vie_news
Das Glück im Kaleidoskop (Aufbau des Buches)
Das Leben und insbesondere das Glück sind vielfältig und
vielfarbig – viele Aspekte sind dabei zu berücksichtigen, will man sich ihnen
nähern, und sie schlussendlich in den Griff zu bekommen. Diesen Zugang hat auch
Frédéric Lenoir in seinem aktuellen Buch über das Glück gewählt, „[d]enn Glück
hängt von vielerlei Faktoren ab, die gar nicht so leicht auseinanderzuklamüsern
sind.“ (Lenoir 2015, 8) In 21
Kapiteln, die manchmal nur wenige Seiten umfassen, lenkt der Autor unseren
Blick auf die unterschiedlichen Facetten des Glücks. Jedes Kapitel wird mit
einem Zitat begonnen, das auf den Kapitelinhalt einstimmen soll. Bereits in der
Überschrift des ersten Kapitels findet sich die Essenz des Buches formuliert – „Das
Leben lieben, das man führt“. Als literarische Unterstützung findet sich ein
Zitat von Jean Giono: „Es gibt kein Menschenleben, wie bescheiden oder elend es
auch sein möge, das nicht tagtäglich die Möglichkeit zum Glück hätte: Um
letzteres zu erreichen, brauchen wir nur eines: uns selbst.“ (Lenoir 2015, 18) Manche wird das auch an
den wunderbaren Film von Roberto Benigni - La vita è bella (1997), erinnern –
zu Recht und auch eine gute Gelegenheit sich den Film nochmals anzusehen.
Aber zurück zum Buch: Was genau wir dazu beitragen
können, die tagtäglichen Möglichkeiten des Glücks für uns zu nutzen, ist
Gegenstand der folgenden Kapitel. Dabei spielt die These, dass uns unser
Innenleben glücklich oder unglücklich mache eine bedeutende Rolle. (vgl. Lenoir 2015, 59) An dieser Stelle prägt
der Autor auch erstmals den Begriff von der Arbeit am eigenen Innenleben. Diese
Arbeit verläuft dabei – folgt man den Ausführungen des Autors – entlang drei
großer Weisheitspfade – Erstens: die Umwandlung des Verlangens. Zweitens: das gelöste
Einhergehen mit dem Leben. Und drittens: die freudvolle Befreiung des Ich.
(vgl. Lenoir 2015, 122).
Das Beschreiten dieser Pfade wird als eine individuelle
Angelegenheit beschrieben – „Jeder muss sich selbst erforschen, um
herauszufinden, was ihn glücklich oder unglücklich macht, was ihm guttut oder
nicht, was seine Freude steigert und seine Unlust vermindert.“ (Lenoir 2015, 175) Diese Pfade führen am
Ende zu einer ganz besonderen Lichtung – einer Lichtung, die als unser tiefster
Wesensgrund verstanden wird. Glücklich sein heißt – nach Frédéric Lenoir – „mit
unserem tiefsten Wesensgrund mitschwingen.“ (Lenoir 2015, 199).
Fazit – „Weil jeder seine Welt im Herzen trägt“ (Lenoir 2015, 192)
Geht man nach
dem Philosophen Ludwig Wittgenstein, der von vielen Interpreten immer wieder
als Gewährsmann für die Vorstellung vom Leben als Lebensform bemüht wird, die
ihre Form vor allem durch die Konstruktion von Sinn gewinnt, dann wäre die
Sache mit dem Glück eine ziemlich einfache: „Die Lösung des Problems des Lebens
merkt man am Verschwinden dieses Problems.“ (zitiert nach Watzlawick et al. 1994, 77) Offenbar kommt der Bedeutung – vor
allem den Wortbedeutungen – eine große Rolle zu, wenn es um das nähere
Verständnis dieser scheinbaren Tautologie geht. In der aktuellen Psychologie
begegnet man einem vielversprechenden Ansatz zur Klärung von Bedeutungen. So
schreibt etwa der deutsche Psychologe Peter Michael Bak: „Bedeutung ist demnach
der Erkenntnisschlüssel zu uns und zu anderen. Daraus lässt sich auch eine
ethische Komponente von Bedeutung ableiten. Wenn wir unsere Bedeutungen kennen,
kennen wir uns. Und es zeigt uns die Möglichkeiten auf, unser Leben so oder
anders zu gestalten. Gleichzeitig sind wir bei der Beurteilung und Bewertung
der uns umgebenden Menschen und Situationen zur Vorsicht gemahnt. Deren Erleben
und Verhalten lässt sich nur aus deren Bedeutungssystem ableiten, was zu kennen
uns verwehrt bleiben wird. Dies im eigenen Erleben und Verhalten zu
berücksichtigen mag tatsächlich eine der besten Möglichkeiten darstellen, die
Menge ähnlicher Welt-Bedeutungen zu erweitern und dadurch die Chance auf
gegenseitiges Verständnis und eine friedvolle Koexistenz der Bedeutungsgeber zu
erhöhen.“ (Bak 2012, 9) Wenn
Bedeutung ein wichtiger Erkenntnisschlüssel zum Verständnis des Lebens ist,
dann ist er es auch ein wichtiger Erkenntnisschlüssel zum Verständnis des
Glücks. Frédéric Lenoir beschreibt das Glück als die Fähigkeit das Leben zu
lieben: „Glücklich sein heißt, das Leben zu lieben, das ganze Leben: mit all
seinen Höhen und Tiefen, seinen lichten und dunklen Zeiten, seinen Freuden und
seinen Schmerzen.“ (Lenoir 2015, 193)
Dieser Sentenz
nähert er sich durch die Verknüpfung vieler unterschiedlicher Aspekte, die er aus
den Schriften von Philosophen und anderer Schriftsteller extrahiert. Heraus
kommt ein Destillat, das gleichwohl vielfarbig schillert, das aber analytisch –
wenn man sich dem Phänomen des Glücks kritisch nähern möchte – wenig mehr
hergibt, als die Aufzählung mehr oder minder bekannter Zitate bekannter
Philosophen.
Leider bleibt
damit nicht mehr als ein leicht lesbares Kompendium altbekannter Weisheiten,
gespickt mit persönlichen Bemerkungen.
Der
ausformulierten Essenz des Buches – Glück stelle sich ein, wenn wir die Arbeit
an unserem Innenleben vorantrieben und dabei drei wesentliche Aufgaben
bewältigen könnten, nämlich Selbsterkenntnis, die Beherrschung unserer Wünsche
und die Befriedung unserer störenden Emotionen oder irreführenden Gedanken (vgl.
Lenoir 2015, 198) – lässt sich am
Ende wenig entgegenstellen – aber auch wenig entnehmen. Über das Glück haben
französische Autoren schon Brauchbareres zu erzählen verstanden – ich denke da
an das wunderbare Buch von Hectors Reise (Lelord
2015). Dennoch – was über das Reisen gesagt wurde: „Reisen heißt leben.
Jedenfalls doppelt, dreifach, mehrfach leben“ (Stasiuk 2008, 39), lässt sich auch auf das Lesen anwenden – Lesen heißt
Leben. Das Buch von Frédéric Lenoir bietet – trotz aller Schwächen – eine gute
Reflexionsmöglichkeit der eigenen Glücksvorstellungen. Vielleicht sollte man
dabei auch überlegen, ob Glück überhaupt eine persönliche Zielvorstellung sein
kann – ganz im Sinne von: „Ich habe niemals eine Zielvorstellung gehabt. Ich
bin ein Weg und kein Ziel.“ (Daniel Libeskind, verantwortlich für den
Wiederaufbau von „Ground Zero“ zitiert nach Virilio
2010, 22)
Aber am Ende
wird es wohl auf so etwas wie die Bemerkung des amerikanischen
Psychoanalytikers Stephen Grosz hinauslaufen: „I believe that all of us try to
make sense of our lives by telling our stories …” (Grosz 2014, 9) Lebenskompetenz, so wie
ich sie verstehe, ist die Fähigkeit mit dem Leben und dem, was das Leben uns zu
bieten hat, eigenständig umgehen zu können. Es ist einer geschickten
Autorenschaft gleich, mit der wir unserem Leben Sinn geben, indem wir es als
unsere persönliche Geschichte verstehen.
Harald
G. Kratochvila, Wien
Verwendete
Literatur:
Bak, P. M. (2012). "Über das Wesen von
Bedeutung." Philosophie der Psychologie.
Bennent-Vahle, H. (2011). Glück kommt von Denken - Die
Kunst, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Freiburg/Breisgau (GER), Verlag
Herder
de Shazer, S. und Y. Dolan (2011 [2007]). Mehr als ein
Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg
(GER), Carl-Auer-Systeme Verlag
Grosz, S. (2014 [2013]). The Examinded Life - How We
Lose and Find Ourselves. London (UK), Vintage Books
Handke, P. (2015). Die Unschuldigen, ich und die
Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten. Berlin
(GER), Suhrkamp Verlag
Hawking, S. W. (2013). My Brief History. New York, NY (USA), Bantam
Books
Lelord, F. (2015 [2002]). Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück. München
(GER) & Zürich (SUI), Piper Verlag
Stasiuk, A. (2008 [2006]). Fado - Reiseskizzen. Frankfurt/Main (GER),
Suhrkamp Verlag
Watzlawick, P., et
al. (1994 [1974]). Lösungen - Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern
(SUI), Verlag Hans Huber
Virilio, P. (2010
[2009]). Der Futurismus des Augenblicks. Wien (AUT), Passagen Verlag
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