Imdahl, I. (2015). Werbung auf der Couch - Warum Werbung Märchen braucht. Freiburg im Breisgau (GER), Verlag Herder
Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt: www.herder.de
Die Buchseite des Verlages:
www.herder.de/buecher/psychologie_lebensfragen/detailseiten/Werbung-auf-der-Couch.32967.html
Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila
Stichworte: Werbung, Marketing, Märchen, Psychologie, Werbepsychologie, Wirtschaftspsychologie, Medienkompetenz
Werbung als gesellschaftliche Kommunikation über Bedeutung
In unserem gesellschaftlichen Alltag spielt Werbung
eine nicht zu vernachlässigende Rolle – am Weg zu Arbeit entkommen wir kaum den
affichierten Werbebotschaften oder Werbelogos, beim Zeitunglesen ist der
redaktionelle Teil in manchen Medien kaum von PR-Texten unterscheidbar und
selbst wenn wir versuchen mit dem eigenen Smartphone der Hektik des Alltags zu
entkommen, nutzen wir dafür in vielen Fällen werbeunterstütze Apps und
Programme. Im Sinne des oben angeführten Zitats scheinen wir gut daran zu tun,
uns mehr mit den Prozesses und Entwicklungen auseinanderzusetzen, die unseren
Alltag strukturieren. Werbung und die Art und Weise, wie Werbung den
gesellschaftlichen Alltag gestaltet, hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie
Kommunikation Wirklichkeit ist, bzw. Wirklichkeit wird. Der Ausgangspunkt liegt
klar auf der Hand: „Die Wirklichkeit der Alltagswelt teilen wir mit den
Anderen.“ (Berger/Luckmann 2013, 31)
Diese geteilte Wirklichkeit ist also eine Form der Interaktion – und diese
Interaktion kann mehr oder minder anonym verlaufen: „Die Typen
gesellschaftlicher Interaktion werden in steigendem Maße anonymer, je weiter
die Interaktion von der Vis-à-vis-Situation entfernt ist.“ (Berger/Luckmann 2013, 34) Werbung
begegnet uns eher selten in der erwähnten Vis-à-vis-Situation – zumeist sind
wir Empfänger von werblicher Massenkommunikation – in Inseraten, Radio- oder
Fernsehspots, Straßenevents usw. „Die Lebenswelt ist … von Anbeginn
intersubjektiv. Sie stellt sich mir als subjektiver Sinnzusammenhang da; sie
erscheint mir sinnvoll in Auslegungsakten meines Bewußtseins; sie ist nach
meinen Interessenslagen etwas zu Bewältigendes, ich projiziere in sie meine
eigenen Pläne und sie leistet mir Widerstand bei der Verwirklichung meiner
Zweck, wodurch manches für mich durchführbar, anderes undurchführbar ist.“ (Schütz/Luckmann 2003, 44)
Zur Autorin
Ines Imdahl ist Diplompsychologin und Gründerin der
Marktforschungsagentur rheingold salon - www.rheingold-salon.de
– zusammen mit ihrem Mann Jens Lönneker führen sie ein knapp 15 köpfiges Team. Einem
breiteren Publikum bekannt wurde sie durch ihre Kolumnen im Handelsblatt, in
denen sie sich mit Werbung und Werbewirkung auseinander gesetzt hat: www.handelsblatt.com
Märchenprinzipien in der Werbung (Aufbau des Buches)
In den sieben Buchkapiteln führt uns die Autorin von der
Allgegenwart der Werbung über die Gemeinsamkeiten von Werbung und Märchen hin
zu den Wirkmechanismen von Märchen und wie sie für Werbung nutzbar gemacht
werden könnten. Als erfahrene Werberin und Werbeberaterin liefert sie in vielen
anschaulichen Beispielen auch gute Möglichkeiten, Werbung und Märchen in
Beziehung zu setzen.
Ines Imdahl geht von einer Omnipräsenz von Werbung in
unserer Gesellschaft aus. Diese Allgegenwart prägt Werber und Werbekonsumenten
gleichermaßen. Sie plädiert in ihrem Buch dafür, dass Werbung noch effektiver
gestaltet werden können, wie sie auf bestimmte Prinzipien zurückgreifen würde –
Prinzipien, wie sie sich beispielsweise in Märchen expliziert finden: „Werbung
kann uns berühren, wenn sie sich die Prinzipien und Wirkmechanismen von Märchen
zunutze macht. Bei genauerer Betrachtung ist sie – richtig eingesetzt – sogar eine
moderne Fortschreibung der Märchen.“ (Imdahl
2015, 34)
Märchen werden von der Autorin als tradierte Erzählungen
gesehen, die den Menschen Orientierungshilfe bei existenziellen Problemen
liefern – Probleme, die in ihrer Zeitlosigkeit als anthropologische Konstanten
gesehen werden können: „Denn Märchen bebildern und bearbeiten existenzielle
Probleme und grundlegende Konflikte unseres Lebens: das Böse genauso wie das
Gute, das Erwachsenwerden, das Altern und das Sterben. Die Sehnsucht nach dem
ewigen Leben, die Suche nach Liebe, die Vermeidung von Festlegungen und die
Auseinandersetzung mit dem, was man werden will und wie man sich entwickeln und
verändern möchte.“ (Imdahl 2015, 44)
Die Faszination von Märchen und ihrem
lebensorientierenden Charakter gilt es nun
aus Sicht der Autorin – auch für die Gestaltung von Werbung nutzbar zu
machen. Im Kern des Buches stehen daher märchenanaloge Prinzipien und ihre Einsatzmöglichkeiten
in der Werbung.
Sechs dieser märchenanaloger Prinzipien werden
vorgestellt: Zum einen die „verdichtende Zusammenfassung in Form von Sprüchen“,
dann die „Magie der Verwandlung“, „[d]ie Geschichten der Helden und die
Identifikation mit modernen Heldentaten“, die „Faszination des Bösen“, die „Kraft
der Wiederholung und die Magie der Zahl Drei“ und zuletzt „das Happy End“. „Durch
die Nutzung märchenanaloger Prinzipien kann die Werbung faszinierender und
bewegender werden. Märchenprinzipien zeigen, wie Werbung heute Geschichten
erzählen muss und ihre Funktion als modernen Märchenerzähler wahrnehmen kann.“
(Imdahl 2015, 197)
Im Buch findet sich auch ein Kapitel, das die
beschriebenen märchenanalogen Prinzipien mit Produktbereichen in Zusammenhang
bringt – somit wird anschaulich gemacht, welches Potenzial die Autorin in
Märchen vermutet.
Fazit
„Ich gehe davon
aus, dass menschliche Gruppen aus handelnden Personen bestehen. Dieses Handeln
besteht aus den zahlreichen Aktivitäten, die die Individuen in ihrem Leben ausüben,
wenn sie mit anderen Individuen zusammentreffen und wenn sie sich mit der Abfolge
der Situationen, die ihnen entgegentreten, auseinandersetzen.“ (Blumer 2013, 69) Werbung ist eine
menschliche Kulturleistung. Mit dem deutschen Psychologen Peter Bak lässt sich Werbung
auch als Suche nach Bedeutung verstehen: „Bedeutung ist demnach der
Erkenntnisschlüssel zu uns und zu anderen. Daraus lässt sich auch eine ethische
Komponente von Bedeutung ableiten. Wenn wir unsere Bedeutungen kennen, kennen
wir uns. Und es zeigt uns die Möglichkeiten auf, unser Leben so oder anders zu
gestalten. Gleichzeitig sind wir bei der Beurteilung und Bewertung der uns
umgebenden Menschen und Situationen zur Vorsicht gemahnt. Deren Erleben und
Verhalten lässt sich nur aus deren Bedeutungssystem ableiten, was zu kennen uns
verwehrt bleiben wird. Dies im eigenen Erleben und Verhalten zu berücksichtigen
mag tatsächlich eine der besten Möglichkeiten darstellen, die Menge ähnlicher
Welt-Bedeutungen zu erweitern und dadurch die Chance auf gegenseitiges
Verständnis und eine friedvolle Koexistenz der Bedeutungsgeber zu erhöhen.“ (Bak 2012, 9) Werbung liefert nicht nur
eine Erweiterung von bestehenden Bedeutungsspektren, sondern greift auch auf
tradierte Bedeutungssysteme zurück – Bedeutungssysteme, die in Form von Märchen
vielen Generationen von Menschen Orientierung und damit auch Relevanzstrukturen
geliefert haben: „Alle Erfahrungen und alle Handlungen gründen in
Relevanzstrukturen. Jede Entscheidung stellt außerdem den Handelnden mehr oder
minder explizit vor eine Reihe von Relevanzen.“ (Schütz/Luckmann 2003, 253)
Ines Imdahl hat
in ihrem Buch ein Bild der Werbung gezeichnet, dass – entgegen einiger ihrer
Bemerkungen – nur wenig Anknüpfungspunkte für einen kompetenten Umgang mit
Werbung als gesellschaftlicher Kommunikationsform ermöglicht. Ausgehend von
ihren Postulaten, dass erstens Menschen immer für sich selbst würben (vgl. Imdahl 2015, 23) und dass zweitens
Werbung eine gesellschaftliche Omnipräsenz habe, argumentiert sie in ihrem Buch
für die Akzeptanz der Werbung und deren Wertschätzung. Werbung ist
zugegebenermaßen eine menschliche Kommunikationsform, aber nicht die einzige.
Werbung ist eine besondere Form der Unternehmenskommunikation und dient dem
Erfolg eines Unternehmens (vgl. Bak
2014, 5) Werbung ist damit auch zugegebenermaßen eine kulturelle
Errungenschaft, aber sicherlich nicht der Lebenserhalter menschlicher Kultur: „Selbst
wenn wir es wollten, können wir nicht nicht werben. Und das ist auch wirklich
gut so … Vielmehr ist Werbung eine menschliche Kommunikationsform, die unsere
gesellschaftlichen Werte, Träume, Mythen und Einstellungen zum Ausdruck bringt
und somit letztlich auch unsere Kultur am Leben erhält.“ (Imdahl 2015, 22)
Als
argumentatives Nebenprodukt wirbt sie für die Kompetenz ihrer Agentur in der
Gestaltung effektiver Werbung. Die Entwicklung einer gewissen Kompetenz im
Umgang mit Werbung aus Sicht der Konsumenten bleibt diesem Anliegen
zurückgestellt. Das Schlussplädoyer bleibt daher mit einem schalen
Beigeschmack: „Wenn wir wissen, dass Werbung überall ist, gehen wir entspannter
mit ihr um, sind aber auch achtsamer und vielleicht weniger anfällig für die
bisher unbemerkten Manipulationen.“ (Imdahl
2015, 219)
Pointiert
formuliert: Ines Imdahl ist ein Coup gelungen – in einem renommierten Verlag,
der Gesellschaftskritik und Aufklärung einen sicheren Hafen bietet, hat sie
eine Art Werbebroschüre für ihre Agentur untergebracht, der Leser ist Staffage –
Adressat sind Unternehmen, die effektiver Werbung treiben wollen.
„Ich möchte mit
einer Frage schließen. Mit Der Frage.
Stellen Sie sich einmal vor, ich böte ihnen alles an, was Sie sich wünschen.
Grenzenlosen Reichtum; Sie könnten sich alles kaufen, was Ihr Herz begehrt; Sie
hätten das beste Liebes- und Sexleben, das Sie sich nur vorstellen könnten; Sie
strotzten vor Gesundheit und würden kaum altern. Allerdings kämen Sie nur unter
einer Bedingung in den Genuss all dieser Annehmlichkeiten: Sie müssten als
Gegenleistung Ihr Bewusstsein abgeben. Würden Sie das tun? Ich auch nicht.“ (Dijksterhuis 2010, 235)
Harald
G. Kratochvila, Wien
Verwendete
Literatur:
Bak, P. M. (2012). "Über das Wesen von
Bedeutung." Philosophie der Psychologie.
Bak, P. M. (2014). Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Eine Einführung. Stuttgart (GER), Schäffer-Poeschel Verlag
Berger, P. L. und T. Luckmann (2013 [1966]). Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit - Eine Theorie der
Wissenssoziologie. Frankfurt/Main (GER), Fischer Taschenbuch Verlag
Blumer, H. (2013 [1931-1971]). Symbolischer
Interaktionismus - Aufsätze zu einer Wissenschaft der Interpretation. Berlin
(GER), Suhrkamp Verlag
Dijksterhuis, A. (2010 [2007]). Das kluge Unbewusste -
Denken mit Gefühl und Intuition. Stuttgart (GER), Klett-Cotta
Schütz, A. und T.
Luckmann (2003). Strukturen der Lebenswelt. Konstanz (GER), UVK
Verlagsgesellschaft
Sturm, A., et al.
(2011). Organisationspsychologie. Wiesbaden (GER), VS Verlag für
Sozialwissenschaften
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