Freitag, 12. Juni 2015

Das Werbe-Märchen auf der Couch

Eine Rezension zu:

Imdahl, I. (2015). Werbung auf der Couch - Warum Werbung Märchen braucht. Freiburg im Breisgau (GER), Verlag Herder

Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt: www.herder.de

Die Buchseite des Verlages:
www.herder.de/buecher/psychologie_lebensfragen/detailseiten/Werbung-auf-der-Couch.32967.html


Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila

Stichworte: Werbung, Marketing, Märchen, Psychologie, Werbepsychologie, Wirtschaftspsychologie, Medienkompetenz

Werbung als gesellschaftliche Kommunikation über Bedeutung

http://www.herder.de/elvis_img/herder/titel/cover/0004304164_0001_170.jpg„We should work on our processes, not the outcome of our processes.” (der Pysiker W.E. Deming zitiert nach Sturm et al. 2011, 73)
In unserem gesellschaftlichen Alltag spielt Werbung eine nicht zu vernachlässigende Rolle – am Weg zu Arbeit entkommen wir kaum den affichierten Werbebotschaften oder Werbelogos, beim Zeitunglesen ist der redaktionelle Teil in manchen Medien kaum von PR-Texten unterscheidbar und selbst wenn wir versuchen mit dem eigenen Smartphone der Hektik des Alltags zu entkommen, nutzen wir dafür in vielen Fällen werbeunterstütze Apps und Programme. Im Sinne des oben angeführten Zitats scheinen wir gut daran zu tun, uns mehr mit den Prozesses und Entwicklungen auseinanderzusetzen, die unseren Alltag strukturieren. Werbung und die Art und Weise, wie Werbung den gesellschaftlichen Alltag gestaltet, hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie Kommunikation Wirklichkeit ist, bzw. Wirklichkeit wird. Der Ausgangspunkt liegt klar auf der Hand: „Die Wirklichkeit der Alltagswelt teilen wir mit den Anderen.“ (Berger/Luckmann 2013, 31) Diese geteilte Wirklichkeit ist also eine Form der Interaktion – und diese Interaktion kann mehr oder minder anonym verlaufen: „Die Typen gesellschaftlicher Interaktion werden in steigendem Maße anonymer, je weiter die Interaktion von der Vis-à-vis-Situation entfernt ist.“ (Berger/Luckmann 2013, 34) Werbung begegnet uns eher selten in der erwähnten Vis-à-vis-Situation – zumeist sind wir Empfänger von werblicher Massenkommunikation – in Inseraten, Radio- oder Fernsehspots, Straßenevents usw. „Die Lebenswelt ist … von Anbeginn intersubjektiv. Sie stellt sich mir als subjektiver Sinnzusammenhang da; sie erscheint mir sinnvoll in Auslegungsakten meines Bewußtseins; sie ist nach meinen Interessenslagen etwas zu Bewältigendes, ich projiziere in sie meine eigenen Pläne und sie leistet mir Widerstand bei der Verwirklichung meiner Zweck, wodurch manches für mich durchführbar, anderes undurchführbar ist.“ (Schütz/Luckmann 2003, 44) 

Zur Autorin

Ines Imdahl ist Diplompsychologin und Gründerin der Marktforschungsagentur rheingold salon - www.rheingold-salon.de – zusammen mit ihrem Mann Jens Lönneker führen sie ein knapp 15 köpfiges Team. Einem breiteren Publikum bekannt wurde sie durch ihre Kolumnen im Handelsblatt, in denen sie sich mit Werbung und Werbewirkung auseinander gesetzt hat: www.handelsblatt.com 

Märchenprinzipien in der Werbung (Aufbau des Buches)

In den sieben Buchkapiteln führt uns die Autorin von der Allgegenwart der Werbung über die Gemeinsamkeiten von Werbung und Märchen hin zu den Wirkmechanismen von Märchen und wie sie für Werbung nutzbar gemacht werden könnten. Als erfahrene Werberin und Werbeberaterin liefert sie in vielen anschaulichen Beispielen auch gute Möglichkeiten, Werbung und Märchen in Beziehung zu setzen. 
Ines Imdahl geht von einer Omnipräsenz von Werbung in unserer Gesellschaft aus. Diese Allgegenwart prägt Werber und Werbekonsumenten gleichermaßen. Sie plädiert in ihrem Buch dafür, dass Werbung noch effektiver gestaltet werden können, wie sie auf bestimmte Prinzipien zurückgreifen würde – Prinzipien, wie sie sich beispielsweise in Märchen expliziert finden: „Werbung kann uns berühren, wenn sie sich die Prinzipien und Wirkmechanismen von Märchen zunutze macht. Bei genauerer Betrachtung ist sie – richtig eingesetzt – sogar eine moderne Fortschreibung der Märchen.“ (Imdahl 2015, 34)
Märchen werden von der Autorin als tradierte Erzählungen gesehen, die den Menschen Orientierungshilfe bei existenziellen Problemen liefern – Probleme, die in ihrer Zeitlosigkeit als anthropologische Konstanten gesehen werden können: „Denn Märchen bebildern und bearbeiten existenzielle Probleme und grundlegende Konflikte unseres Lebens: das Böse genauso wie das Gute, das Erwachsenwerden, das Altern und das Sterben. Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben, die Suche nach Liebe, die Vermeidung von Festlegungen und die Auseinandersetzung mit dem, was man werden will und wie man sich entwickeln und verändern möchte.“ (Imdahl 2015, 44)

Die Faszination von Märchen und ihrem lebensorientierenden Charakter gilt es nun  aus Sicht der Autorin – auch für die Gestaltung von Werbung nutzbar zu machen. Im Kern des Buches stehen daher märchenanaloge Prinzipien und ihre Einsatzmöglichkeiten in der Werbung.
Sechs dieser märchenanaloger Prinzipien werden vorgestellt: Zum einen die „verdichtende Zusammenfassung in Form von Sprüchen“, dann die „Magie der Verwandlung“, „[d]ie Geschichten der Helden und die Identifikation mit modernen Heldentaten“, die „Faszination des Bösen“, die „Kraft der Wiederholung und die Magie der Zahl Drei“ und zuletzt „das Happy End“. „Durch die Nutzung märchenanaloger Prinzipien kann die Werbung faszinierender und bewegender werden. Märchenprinzipien zeigen, wie Werbung heute Geschichten erzählen muss und ihre Funktion als modernen Märchenerzähler wahrnehmen kann.“ (Imdahl 2015, 197)

Im Buch findet sich auch ein Kapitel, das die beschriebenen märchenanalogen Prinzipien mit Produktbereichen in Zusammenhang bringt – somit wird anschaulich gemacht, welches Potenzial die Autorin in Märchen vermutet. 

Fazit

„Ich gehe davon aus, dass menschliche Gruppen aus handelnden Personen bestehen. Dieses Handeln besteht aus den zahlreichen Aktivitäten, die die Individuen in ihrem Leben ausüben, wenn sie mit anderen Individuen zusammentreffen und wenn sie sich mit der Abfolge der Situationen, die ihnen entgegentreten, auseinandersetzen.“ (Blumer 2013, 69) Werbung ist eine menschliche Kulturleistung. Mit dem deutschen Psychologen Peter Bak lässt sich Werbung auch als Suche nach Bedeutung verstehen: „Bedeutung ist demnach der Erkenntnisschlüssel zu uns und zu anderen. Daraus lässt sich auch eine ethische Komponente von Bedeutung ableiten. Wenn wir unsere Bedeutungen kennen, kennen wir uns. Und es zeigt uns die Möglichkeiten auf, unser Leben so oder anders zu gestalten. Gleichzeitig sind wir bei der Beurteilung und Bewertung der uns umgebenden Menschen und Situationen zur Vorsicht gemahnt. Deren Erleben und Verhalten lässt sich nur aus deren Bedeutungssystem ableiten, was zu kennen uns verwehrt bleiben wird. Dies im eigenen Erleben und Verhalten zu berücksichtigen mag tatsächlich eine der besten Möglichkeiten darstellen, die Menge ähnlicher Welt-Bedeutungen zu erweitern und dadurch die Chance auf gegenseitiges Verständnis und eine friedvolle Koexistenz der Bedeutungsgeber zu erhöhen.“ (Bak 2012, 9) Werbung liefert nicht nur eine Erweiterung von bestehenden Bedeutungsspektren, sondern greift auch auf tradierte Bedeutungssysteme zurück – Bedeutungssysteme, die in Form von Märchen vielen Generationen von Menschen Orientierung und damit auch Relevanzstrukturen geliefert haben: „Alle Erfahrungen und alle Handlungen gründen in Relevanzstrukturen. Jede Entscheidung stellt außerdem den Handelnden mehr oder minder explizit vor eine Reihe von Relevanzen.“ (Schütz/Luckmann 2003, 253)

Ines Imdahl hat in ihrem Buch ein Bild der Werbung gezeichnet, dass – entgegen einiger ihrer Bemerkungen – nur wenig Anknüpfungspunkte für einen kompetenten Umgang mit Werbung als gesellschaftlicher Kommunikationsform ermöglicht. Ausgehend von ihren Postulaten, dass erstens Menschen immer für sich selbst würben (vgl. Imdahl 2015, 23) und dass zweitens Werbung eine gesellschaftliche Omnipräsenz habe, argumentiert sie in ihrem Buch für die Akzeptanz der Werbung und deren Wertschätzung. Werbung ist zugegebenermaßen eine menschliche Kommunikationsform, aber nicht die einzige. Werbung ist eine besondere Form der Unternehmenskommunikation und dient dem Erfolg eines Unternehmens (vgl. Bak 2014, 5) Werbung ist damit auch zugegebenermaßen eine kulturelle Errungenschaft, aber sicherlich nicht der Lebenserhalter menschlicher Kultur: „Selbst wenn wir es wollten, können wir nicht nicht werben. Und das ist auch wirklich gut so … Vielmehr ist Werbung eine menschliche Kommunikationsform, die unsere gesellschaftlichen Werte, Träume, Mythen und Einstellungen zum Ausdruck bringt und somit letztlich auch unsere Kultur am Leben erhält.“ (Imdahl 2015, 22)

Als argumentatives Nebenprodukt wirbt sie für die Kompetenz ihrer Agentur in der Gestaltung effektiver Werbung. Die Entwicklung einer gewissen Kompetenz im Umgang mit Werbung aus Sicht der Konsumenten bleibt diesem Anliegen zurückgestellt. Das Schlussplädoyer bleibt daher mit einem schalen Beigeschmack: „Wenn wir wissen, dass Werbung überall ist, gehen wir entspannter mit ihr um, sind aber auch achtsamer und vielleicht weniger anfällig für die bisher unbemerkten Manipulationen.“ (Imdahl 2015, 219)
Pointiert formuliert: Ines Imdahl ist ein Coup gelungen – in einem renommierten Verlag, der Gesellschaftskritik und Aufklärung einen sicheren Hafen bietet, hat sie eine Art Werbebroschüre für ihre Agentur untergebracht, der Leser ist Staffage – Adressat sind Unternehmen, die effektiver Werbung treiben wollen.

„Ich möchte mit einer Frage schließen. Mit Der Frage. Stellen Sie sich einmal vor, ich böte ihnen alles an, was Sie sich wünschen. Grenzenlosen Reichtum; Sie könnten sich alles kaufen, was Ihr Herz begehrt; Sie hätten das beste Liebes- und Sexleben, das Sie sich nur vorstellen könnten; Sie strotzten vor Gesundheit und würden kaum altern. Allerdings kämen Sie nur unter einer Bedingung in den Genuss all dieser Annehmlichkeiten: Sie müssten als Gegenleistung Ihr Bewusstsein abgeben. Würden Sie das tun? Ich auch nicht.“ (Dijksterhuis 2010, 235)

Harald G. Kratochvila, Wien

Verwendete Literatur:

Bak, P. M. (2012). "Über das Wesen von Bedeutung." Philosophie der Psychologie.

Bak, P. M. (2014). Werbe- und Konsumentenpsychologie. Eine Einführung. Stuttgart (GER), Schäffer-Poeschel Verlag

Berger, P. L. und T. Luckmann (2013 [1966]). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit - Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/Main (GER), Fischer Taschenbuch Verlag

Blumer, H. (2013 [1931-1971]). Symbolischer Interaktionismus - Aufsätze zu einer Wissenschaft der Interpretation. Berlin (GER), Suhrkamp Verlag

Dijksterhuis, A. (2010 [2007]). Das kluge Unbewusste - Denken mit Gefühl und Intuition. Stuttgart (GER), Klett-Cotta

Schütz, A. und T. Luckmann (2003). Strukturen der Lebenswelt. Konstanz (GER), UVK Verlagsgesellschaft

Sturm, A., et al. (2011). Organisationspsychologie. Wiesbaden (GER), VS Verlag für Sozialwissenschaften

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