Freitag, 22. Mai 2015

Über den Humor zum Unbewussten – Aspekte zur Bedeutung des Humors für die Psychotherapie

Fabian, E. (2015). Humor und seine Bedeutung für die Psychotherapie. Gießen (GER), Psychosozial Verlag

Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt: www.psychosozial-verlag.de

Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)

Stichworte: Psychotherapie, Humor, Unbewusstes, Psychoanalyse, Angst, Rezension


Orientierungspunkte

“Thinking is important to all of us in our daily lives. The way we think affects the way we plan our lives, the personal goals we choose, and the decisions we make. Good thinking is therefore not something that is forced upon us in school: It is something that we all want to do, and want others to do, to achieve our goals and theirs.” (Baron 2008, 5).

Der französische Literat Gustave Flaubert hat in einem Brief an seine Geliebte Louise Colet den Gedanken formuliert: „Das Üble am Schmerz ist, dass er allzu deutlich das Leben spüren lässt. Er liefert uns selbst so etwas wie den Beweis, dass ein Fluch auf uns lastet: Er demütigt … Sollten Leiden und Denken dasselbe sein?“ (Flaubert 2005, 292) Man muss dieser trüben Stimmung nicht selbst nachgeben, kann sie aber zum Anlass nehmen um darüber nachzudenken, woran Menschen leiden. Einer ersten plausiblen Antwort zufolge, liegt ein Zusammenhang zu den menschlichen Gefühlen und Emotionen nahe. Gefühle und Emotionen sind grundlegende Bausteine menschlichen Verhaltens – und viele Psychotherapien werden begonnen, weil die Menschen mit ihren Gefühlen und Emotionen nicht besonders gut klarkommen, oder weil ihr Verhalten, das aus ihnen entsteht, Probleme verursacht. Der Weg zur Klarheit führt nicht immer über das bewusste Nachdenken, dennoch kann gerade der philosophisch-analytische Zugang zur menschlichen Gefühlswelt Aufklärung bringen. „Die philosophische Analyse des Gefühls führt zu einer tragischen Sicht des Lebens. Tragödie ist nicht eigenbrötlerischer Trübsinn, sondern das Umfassen von Vielfalt. … Das Ideal emotionaler Rationalität ist die angemessene Gefühlsreaktion. In jener utopischen conditio würden wir, per impossibile, die reiche Bedeutung nicht nur unseres je individuellen Lebens erfahren, sondern auch die reiche Bedeutung der tragischen Dimensionen, die für die condition humana wesentlich sind. Dazu gehören die Grenzen völliger Empathie, aus denen die Liebe ihre Kraft gewinnt; die Notwendigkeit gesellschaftlicher Bande für die Freiheit des einzelnen; die subjektive Bindung an objektive Werte; die Bedeutung des Todes für sinnträchtige Erfahrung. Die menschliche Welt zu fühlen, wie sie ist, das emotionale Äquivalent der Wahrheit zu erfahren hieße, all dies zu fühlen, mit dem ganzen Wesen, alles zugleich.“ (de Sousa 2009, 526)

Die Tragik des Denkens und Fühlens wird vor allem durch Erzählungen plastisch gemacht. Jean Anouille führt uns mit zwei Gedanken auf die Fährte des Humors: „Die Geschichte ist eine natürliche Grundform der Kommunikation“ und „Fiktion gibt dem Leben seine Form.“(zitiert in Gutjahr 2013, 151) Humor kann eine wundervolle Verpackung dafür sein, wie wir die Welt erleben und sich ihr annähern – und wirft man einen Blick darauf, wie Humor dafür eingesetzt wird, Sichtweisen zu verändern und neue  Perspektiven zu erlangen, ist der Weg zum Einsatz von Humor in der Psychotherapie nicht mehr weit. Was die amerikanische Karikaturistin Liza Donnelly in einem TED-Vortrag über die humorvollen Zugangsweisen zur eigenen Identität zeigt und erzählt, lässt sich auch für die Psychotherapie nutzbar machen (www.ted.com/talks/liza_donnelly_drawing_upon_humor_for_change?language=de#t-133349).

Zum Autor

Egon Fabian verfügt über ein breites psychotherapeutisches Wissen, das er sich in den letzten Jahren als Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychosomatische Medizin und als Psychoanalytiker und Gruppentherapeut erarbeitet hat. Er ist ärztlicher Leiter der Dynamisch-Psychiatrischen Klinik Menterschwaige in München (http://www.klinik-menterschwaige.de) und arbeitet dazu noch in einem psychoanalytischen Institut (http://www.psychoanalysebayern.de). Seine Forschungsschwerpunkte sind Angststörungen, Gruppendynamik, Identität und Humor in der Psychotherapie. Bei Waxmann Verlag erschien zuletzt ein Buch zur Psychotherapie der Angst (http://www.waxmann.com). 

Zur Bedeutung des Humors für die Psychotherapie (Aufbau des Buches)

Auch in den Medien ist das Thema bereits präsent: www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/humor-in-der-psychotherapie-so-wirken-witze-bei-depressionen-und-co-a-954213.html
 
Egon Fabian legt mit seinem Buch eine Sammlung von Aufsätzen vor, die er für dieses Buch nochmals überarbeitet hat. Zentrales Thema dieser Beiträge ist die Bedeutung von Humor für die psychotherapeutische Praxis. Die Beiträge bauen selbst nicht grundlegend aufeinander auf und lassen sich daher je nach Interesse in beliebiger Reihenfolge lesen.
Die Grundüberzeugung des Autors wird an mehreren Stellen vorgebracht – Humor in seinen verschiedenen Ausprägungen ist eine wichtige Quelle, ein wichtiger Weg zum Unbewussten und wird in diesem Zusammenhang mit dem Traum und der Metapher gesehen: „Denn der Traum, die Psychopathologie des Alltags und der Witz sind unmittelbare Ausdrucksformen des Unbewussten.“ (Fabian 2015, 7) oder „Ähnlich dem Traum und der Metapher integriert auch der Humor Bewusstes und Unbewusstes, Konkretes und Symbolisches, Freud und Leid, Individuum und Gruppe.“ (Fabian 2015, 25-26)

Damit kann auch das Ziel erreicht werden, das der Autor in der Psychotherapie sieht, nämlich zu lernen, seinen Gefühlen Ausdruck zu verschaffen. Das unausgesprochene normative Urteil dahinter lautet demnach, dass es gesund wäre, seinen Gefühlen auch Ausdruck zu verleihen. Und weiters: Jeder Mensch verfüge über Humor solange er psychisch gesund wäre.
Folgerichtig wird vom Autor die Humorlosigkeit auch als pathologischer Zustand beschrieben: „Humorlosigkeit ist immer pathologisch. Sie ist ein Symptom von Depression und gestörter Kontaktaufnahme.“ (Fabian 2015, 17)
In den verschiedenen Beiträgen von Egon Fabian kommt aber auch deutlich zur Sprache, dass Humor kein Allheilmittel darstellt und vor allem, dass Humor in der Psychotherapie bewusst als Interventionsmaßnahme eingesetzt, an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden sollte.

Doch der Reihe nach. Egon Fabian definiert Humor bzw. den Sinn für Humor als die Fähigkeit in komischen Situationen zu lachen, oder solche Situationen absichtlich herbeiführen zu können: „Sinn für Humor ist in meinem Verständnis die Fähigkeit auf komische Situationen mit (hörbarem oder stummem) Lachen zu reagieren – oder solche Situationen selbst herzustellen.“ (Fabian 2015, 15) Humor bedient sich dabei verschiedener Ausdrucksformen – konstruktiven Arten und destruktiv verformten Arten, zu denen der Sarkasmus, der Zynismus und die bösartige Ironie gezählt werden können. Humor kann in verbalen und non-verbalen Formen geäußert werden, wobei der Witz die am weitesten verbreitete verbale Humorform darstellt. 

Diese Unterscheidungen sind für die Darlegungen der Bedeutung des Humors für die Psychotherapie sehr wichtig, denn laut Egon Fabian „wird im Allgemeinen wenig differenziert, welche Art von Humor bei welcher Persönlichkeitsstruktur angebracht ist, und welche Grenzen dabei beachtet werden müssen.“ (Fabian 2015, 67)

Die Vorteile des Humors in der Psychotherapie beziehen sich nach Egon Fabian, der seine Überlegungen durch Verweise auf Studien stützt, nicht nur auf die Person des Patienten und die Therapeuten-Patienten-Beziehung, sondern auch auf den Therapeuten selbst. Humor ermöglicht mit seiner Bildersprache eine Distanzierung von gewohntem Denken und Fühlen und stellt eine lustvolle Ressource dar, mit sich und anderen in Kontakt zu kommen. (vgl. Fabian 2015, 7-8) Dieser Kontakt, den konstruktiver Humor schafft, wirkt therapeutisch – „Therapeutisch ist, was Kontakt schafft, relativiert und Übertragung bzw. Projektion abgrenzt.“ (Fabian 2015, 24) Die Übertragungen und Gegenübertragungen, die sich darin aufzeigen lassen, helfen nicht nur dem Patienten, sondern auch dem Therapeuten. Alles in allem wird damit „eine bessere Regulierung von Nähe und Distanz“ (Fabian 2015, 25) möglich.
Diese Vorteile des Humors etablieren sich nach Egon Fabian aber nur auf einer tragfähigen Therapeuten-Patienten-Beziehung – einer Beziehung, in der dem Therapeuten klar ist, mit wem er es zu tun hat – „Eine gute Kenntnis des Patienten und seiner Geschichte“ (Fabian 2015, 24)

Fazit

Humor stellt einen bedeutenden Zugang zum Denken und Verhalten des Menschen dar und beruht in seinem Verständnis auf einem komplexen Zusammenspiel mentaler Fähigkeiten: “Humor comprehension is a complex process that requires the detection and resolution of the incongruity, eliciting a positive feeling of mirth or reward.” (Shibataa et al. 2015, 137) Sogar dann, wenn die verbalen Fähigkeiten und das deklarative Gedächtnis schon schwer beeinträchtigt sind, wie bei Demenz-PatientenZugang zu den Menschen gefunden werden. In einer rezenten Studie wurde untersucht, inwieweit Humor in der Demenz-Pflege eingesetzt werden könne und die Ergebnisse zeigten, dass Zufriedenheit und Freude der Demenzpatienten durch einen humorvollen Umgang mit ihnen gesteigert werden konnte. (Person und Hanssen 2015)

Humor ist demnach ein integraler Bestandteil eines gelungenen Lebens und damit auch Kern einer gelungenen Psychotherapie, die darauf abzielt den Menschen mehr Möglichkeiten des Denkens, Fühlen und Handelns zu eröffnen. Egon Fabian, hat dieses Ermöglichen sehr schön formuliert und damit auch einen Hinweis darauf gegeben, worauf es in der Psychotherapie auch ankommen sollte: “Wenn das Ziel einer erfolgreichen Psychotherapie nicht nur in der Linderung von Leid und Konflikten besteht, sondern auch das innere Wachstum des Patienten fördern soll, dann muss der Patient allmählich lernen, sich über seine eigenen Probleme zu erheben bzw. diese aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. In erfolgreichen Therapien findet der Patient seinen Humor (wieder) und kann ihn zunehmend für sein Leben einsetzen.“ (Fabian 2015, 118)

Harald G. Kratochvila, Wien

Verwendete Literatur:

Baron, J. (2008 [1988]). Thinking and Deciding. New York, NY (USA), Cambridge University Press

de Sousa, R. (2009 [1987]). Die Rationalität des Gefühls. Frankfurt/Main (GER), Suhrkamp Verlag

Flaubert, G. (2005 [1830-1880]). Briefe. Zürich (SUI), Diogenes Verlag

Gutjahr, G. (2013 [2011]). Markenpsychologie. Wie Marken wirken - Was Marken stark macht. Wiesbaden (GER), Springer Gabler

Kratochvila, H. G. (2011). "Kopfarbeit - Den emotionalen Krisen auf der Spur." Socialnet – Rezensionen (http://www.socialnet.de/rezensionen/10884.php)

Levit, L. Z. (2014). "Personal uniqueness therapy: Living with an inner ideal." American Journal of Applied Psychology 3(1): 1-7

Person, M. und Hanssen, I. (2015). „Joy, Happiness, and Humor in Dementia Care: A Qualitative Study.” Creative Nursing 21(1): 47-52

Shibataa, M. et al. (2015). “Integration of Cognitive and Affective Networks in Humor Comprehension.” Neuropsychologia 65: 137–145

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