Narzisstische Kränkungen als willkommener Anlass für Coaching und Beratung
Horst Lempart (2015). Ich habe es doch nur gut gemeint – Die narzisstische Kränkung in Coaching und Beratung. Paderborn (GER), Junfermann Verlag
Das
Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt – www.junfermann.de
Die Buchseite des Verlages:
www.junfermann.de/titel-1-1/ich_habe_es_doch_nur_gut_gemeint-10264
Die Buchseite des Verlages:
www.junfermann.de/titel-1-1/ich_habe_es_doch_nur_gut_gemeint-10264
Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)
Stichworte: Narzissmus, Coaching, Beratung,
Lebenskompetenz, Rezension
Der Preis der Grandiosität – Unterstützende Beziehungen mit Narzissten
Die brüchige Welt des Narzissten verschlingt sehr viel
individuelle Energie – Aufmerksamkeit und Liebe, die narzisstisch geprägte
Menschen von anderen einfordern, gelten ihnen als Bindemittel, um dieser
Brüchigkeit Stabilität zu verleihen. Dabei kommt es auf Seiten der Narzissten
immer wieder zu Kränkungen und man könnte fast meinen: „Dunkelheit, Schmerz und
Leiden sind ein Teil des menschlichen Lebens, den niemand aus ihm entfernen
kann … Aber wie wir damit umgehen, scheint mir die entscheidende Frage.“ (Reddemann 2006, 21) Wie gehen denn
Narzissten mit diesen Kränkungen um? Lassen sie sich von ihrem eingeschlagenen
Weg der Grandiosität, der Auserwähltheit und der Verdienstlichkeit abbringen,
oder nehmen sie diese Kränkungen doch nur wieder zum Anlass, um sich selbst zu
erhöhen. Trifft auf Narzissten der Gedanke zur Selbststeuerung zu, den Joachim
Bauer vor kurzem in seinem aktuellen Buch formuliert hat: Selbststeuerung ist
„der einzige Weg … zu uns selbst zu finden und unser wirkliches Leben zu
finden.“ (Bauer 2015, 169) Inwieweit können sich Menschen selbst finden, wenn die
Beziehungen, die sie pflegen, brüchig und von großer Ungleichheit geprägt sind?
Vielleicht sind Coaches, Beraterinnen, oder
Therapeuten die einzigen Menschen, die Narzissten noch tragfähige Begegnungen
und Beziehungen anbieten können und es bleibt gültig, was Rainer Matthias
Holm-Hadulla in seinem letzten Buch postulierte: „Unterstützende Begegnungen
begleiten das gesamte Leben.“ (Holm-Hadulla
2015, 122)
Zum Autor
Horst Lempart betreibt eine eigene Praxis in Koblenz - www.spectrumcoaching.de – und bezeichnet sich selbst
als „Persönlichkeitsstörer“. Diese Rolle füllt er als psychologischer Berater,
Coach und NLP-Master. Sein Credo lautet "Ich arbeite nicht mit Störungen,
ich arbeite mit Menschen." Mehr Details zu seinen Beratungsleistungen und
seinen öffentlichen Aktivitäten finden sich auf seiner homepage.
Zum Buch
Das Buch ist grob in drei Teile gegliedert. In dem
ersten, einführenden Teil beschäftigt sich Horst Lempart mit verschiedenen
Ausdrucksformen und Erklärungsansätzen zum Narzissmus. Dabei erläutert er die
charakteristischen Attribute eines Narzissten und legt Wert auf die
Unterscheidung zwischen „der narzisstischen Störung mit Krankheitswert und dem
gesunden Narzissmus.“ (Lempart 2015,
11) Horst Lempart beschreibt Narzissten als einen selbstverliebten Menschen,
der heftigen Ambivalenzen und Emotionen ausgesetzt ist. Positive und negative
Selbstbilder sind gekoppelt mit starken Emotionen wie Schuld, Scham oder
Aggressivität. Die Anerkennung, nach der sich Narzissten sehnen, ist dem Bild
geschuldet, das sie von sich selbst entwickelt haben: Ihrer Grandiosität, ihren
Fantasien grenzenlosen Erfolgs. Diese Anerkennung wird nicht nur eingefordert,
sondern „der pathologische Narzissmus tendiert dazu, Zuwendung zu erzwingen.“ (Lempart 2015, 25) Dieser Zwang wird
durch den Einsatz verschiedener Verhaltensweisen ausgeübt – durch theatralische
Auftritte, übertriebenes Engagement, Besserwisserei oder durch Anweisungen an
andere. Diese Verhaltensweisen erfordern aber viel Energie und sind sehr oft von
Frustrationen begleitet, wenn die anderen sich diesem Spiel nicht anschließen.
Die daraus folgende narzisstische Kränkung lässt sich im Sprachgebrauch
sichtbar machen: „Schwierig sind die anderen“, heisst es dann zum Beispiel
(andere Redeweisen finden sich bei Lempart
2015, 159-171).
Horst Lempart sieht in den erlebten narzisstischen
Kränkungen vor allem „eine normale Reaktion auf ein abnormes Ereignis“ (Lempart 2015, 18) und versteht sie als
Ausgangspunkt, um wieder Kontakt zu seinen Bedürfnissen und Wertvorstellungen
kommen zu können.
Der erste Teil beinhaltet natürlich auch die
Beschreibung der diagnostischen Kriterien der narzisstischen
Persönlichkeitsstörung. Aber Horst Lempart konzentriert sich vor allem auf die
Darstellung der verschiedenen Persönlichkeitsanteile, die gehäuft mit
narzisstischen Verhaltensweisen einhergehen – abhängige, ängstliche,
zwanghafte, antisoziale, Borderline-Persönlichkeitsanteile.
Im Kern dieses ersten Kapitels steht das
Kränkungsmodell bei Klienten mit narzisstischem Persönlichkeitsstil (Lempart 2015, 42), das auch die
Interventionsmöglichkeiten aufzeigt.
Im zweiten Teil veranschaulicht Horst Lempart seinen
Zugang zum Narzissmus anhand von Praxisfällen, in denen jeweils einzelne
Aspekte des narzisstischen Persönlichkeitsstils herausgearbeitet werden. Die
theoretischen Kernelemente bekommen in diesem Teil praktischen Ausdruck und es
werden auch die Interventionen erklärt, mit denen der Klienten dabei
unterstützt werden kann, mehr Klarheit über sich und sein Verhalten zu erlangen.
(z.B. Transaktionsanalyse, Reframing)
Im dritten Teil folgt eine Zusammenfassung und vor
allem Arbeitsblätter zur Selbsterfahrung.
Fazit
„Narzisstische
Persönlichkeiten sind besonders kränkungsanfällig, wenn ihre
Interaktionspartner nicht in manipulative Spiele einsteigen.“ (Lempart 2015, 35) Krisen und Kränkungen
können ein sehr vielversprechender Anlass für Veränderungen sein, wenn der
Leidensdruck entsprechend groß ist, wie der Veränderungswunsch. „Voraussetzung
dafür ist eine Verschiebung der inneren Referenzpunkte bezüglich dessen, was
als wirklich und als möglich akzeptiert werden muss.“ (Rudolf 2015, 119) Horst Lempart hat sein Buch mit einem
Abschlusskapitel versehen, das den Titel trägt „Wer ich bin oder wer ich sein
könnte“ (Lempart 2015, 201) – damit
werden genau diese Referenzpunkte angesprochen, die es zu erkennen und zu
verschieben gilt, wenn man gelingende Beziehungen aufbauen und fortführen
möchte. „Schätzen sich Menschen im Allgemeinen als sehr selbstwirksam und
kompetent ein und zeigen auch gewöhnlich weniger Leistungsängstlichkeit (Angst
vor Misserfolg), dann erleben sie Situationen generell als kontrollierbarer und
nehmen vergleichbare Anforderungen eher im Sinne einer Herausforderung wahr.“ (Zeyer 2012, 15)
Horst
Lempart ist ein sehr übersichtliches Buch zum Thema Narzissmus gelungen (in
diesem Zusammenhang spricht er vor allem von narzisstischen
Persönlichkeitsanteilen). Gerade im ersten Teil des Buches wird klar, welchen
Energieaufwand es für Menschen bedeutet, ihren narzisstischen
Persönlichkeitsanteilen wenig Beachtung zu schenken, und den unvermeidlichen
narzisstischen Kränkungen immer und immer wieder ausgesetzt zu sein. Horst
Lempart zeigt auch sehr schön, dass die Beratungssituation von diesen Menschen
nicht aufgrund ihres Narzissmus aufgesucht wird, sondern weil sich in ihren
Leben Spannungen und Belastungen häufen, die sie gerade nicht mit ihrem
Narzissmus in Verbindung bringen. „Im Coaching können wir solche Klienten dabei
unterstützen, wieder mit ihren blockierenden Gedanken, belastenden Gefühlen und
automatisierten Verhaltensweisen in Kontakt zu kommen. Im Alltag ist das für
den narzisstisch geprägten Anteil schwer zu realisieren, da er von der
Zuwendung anderer Menschen abhängig ist. Abhängigkeit ist aber keine gute
Voraussetzung, um sich Wahlfreiheiten zu schaffen.“ (Lempart 2015, 39) Ein Zugang ganz im Sinne des radikalen
Konstruktivismus: Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer
wird. (vgl. Glasersfeld 1997, Foerster et al. 2011 und 2010)
Eine interessante Expertenrunde zum Thema Narzissmus und Gesellschaft findet sich hier: www.youtube.com/watch?v=UWNXvnNgwCY
Harald
G. Kratochvila, Wien
Verwendete Literatur:
Bauer, J. (2015). Selbststeuerung - Die
Wiederentdeckung des freien Willens. München (GER), Karl Blessing Verlag
Foerster, H. v. und B. Pörksen (2011 [1998]). Wahrheit
ist die Erfindung eines Lügners - Gespräche für Skeptiker. Heidelberg (GER),
Carl-Auer Verlag
Foerster, H. v. und E. v. Glasersfeld (2010 [1999]).
Wie wir uns erfinden - Eine Autobiographie des radikalen Konstruktivismus.
Heidelberg (GER), Carl-Auer Verlag
Glasersfeld, E. v. (1997 [1995]). Radikaler
Konstruktivismus - Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt/Main (GER), Suhrkamp
Verlag
Holm-Hadulla, R. M. (2015). Integrative Psychotherapie
- Zwölf exemplarische Geschichten aus der Praxis. Stuttgart (GER), Klett-Cotta
Kastner, H. (2012). Schuldhaft - Täter und ihre
Innenwelten. Wien (AUT), Verlag Kremayr & Scheriau
Reddemann, L. (2006). Überlebenskunst. Stuttgart
(GER), Klett-Cotta
Rudolf, G. (2015). Wie Menschen sind - Eine
Anthropologie aus psychotherapeutischer Sicht Stuttgart (GER), Schattauer
Zeyer, R. (2012). Hypnotherapeutische Strategien bei
akutem und chronischem Stress Heidelberg (GER), Carl-Auer Verlag
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen