Mittwoch, 1. Juli 2015

Rezension: Horst Lempart - Ich habe es doch nur gut gemeint

Narzisstische Kränkungen als willkommener Anlass für Coaching und Beratung 


Horst Lempart (2015). Ich habe es doch nur gut gemeint – Die narzisstische Kränkung in Coaching und Beratung. Paderborn (GER), Junfermann Verlag

Das Buch wurde freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt – www.junfermann.de

Die Buchseite des Verlages:
www.junfermann.de/titel-1-1/ich_habe_es_doch_nur_gut_gemeint-10264

Rezensent: Mag. Harald G. Kratochvila (Wien)

Stichworte: Narzissmus, Coaching, Beratung, Lebenskompetenz, Rezension 

Der Preis der Grandiosität – Unterstützende Beziehungen mit Narzissten

http://www.junfermann.de/_images_media/cover/200b/9783955713324.jpgDie österreichische Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner hat zum Begriff und der psychischen Realität des Narzissmus einmal folgendes geschrieben: „Selbstliebe, eine notwendige Voraussetzung für die Liebe zum anderen, wird … zum Selbstzweck und zur Sackgasse, in der sich jegliches Handeln an den engen Grenzen des Eigenbezugs erschöpft. Das Paradoxon des Narzissmus liegt aber letztlich darin, dass eben dieses Selbst ohne tiefere und damit korrigierende Beziehung zur Welt und den anderen ein unsicher definiertes ist, ein brüchiges und unzuverlässiges.“ (Kastner 2012, 21)

Die brüchige Welt des Narzissten verschlingt sehr viel individuelle Energie – Aufmerksamkeit und Liebe, die narzisstisch geprägte Menschen von anderen einfordern, gelten ihnen als Bindemittel, um dieser Brüchigkeit Stabilität zu verleihen. Dabei kommt es auf Seiten der Narzissten immer wieder zu Kränkungen und man könnte fast meinen: „Dunkelheit, Schmerz und Leiden sind ein Teil des menschlichen Lebens, den niemand aus ihm entfernen kann … Aber wie wir damit umgehen, scheint mir die entscheidende Frage.“ (Reddemann 2006, 21) Wie gehen denn Narzissten mit diesen Kränkungen um? Lassen sie sich von ihrem eingeschlagenen Weg der Grandiosität, der Auserwähltheit und der Verdienstlichkeit abbringen, oder nehmen sie diese Kränkungen doch nur wieder zum Anlass, um sich selbst zu erhöhen. Trifft auf Narzissten der Gedanke zur Selbststeuerung zu, den Joachim Bauer vor kurzem in seinem aktuellen Buch formuliert hat: Selbststeuerung ist „der einzige Weg … zu uns selbst zu finden und unser wirkliches Leben zu finden.“ (Bauer 2015, 169) Inwieweit können sich Menschen selbst finden, wenn die Beziehungen, die sie pflegen, brüchig und von großer Ungleichheit geprägt sind? 

Vielleicht sind Coaches, Beraterinnen, oder Therapeuten die einzigen Menschen, die Narzissten noch tragfähige Begegnungen und Beziehungen anbieten können und es bleibt gültig, was Rainer Matthias Holm-Hadulla in seinem letzten Buch postulierte: „Unterstützende Begegnungen begleiten das gesamte Leben.“ (Holm-Hadulla 2015, 122) 

Zum Autor

Horst Lempart betreibt eine eigene Praxis in Koblenz - www.spectrumcoaching.de – und bezeichnet sich selbst als „Persönlichkeitsstörer“. Diese Rolle füllt er als psychologischer Berater, Coach und NLP-Master. Sein Credo lautet "Ich arbeite nicht mit Störungen, ich arbeite mit Menschen." Mehr Details zu seinen Beratungsleistungen und seinen öffentlichen Aktivitäten finden sich auf seiner homepage. 

Zum Buch

Das Buch ist grob in drei Teile gegliedert. In dem ersten, einführenden Teil beschäftigt sich Horst Lempart mit verschiedenen Ausdrucksformen und Erklärungsansätzen zum Narzissmus. Dabei erläutert er die charakteristischen Attribute eines Narzissten und legt Wert auf die Unterscheidung zwischen „der narzisstischen Störung mit Krankheitswert und dem gesunden Narzissmus.“ (Lempart 2015, 11) Horst Lempart beschreibt Narzissten als einen selbstverliebten Menschen, der heftigen Ambivalenzen und Emotionen ausgesetzt ist. Positive und negative Selbstbilder sind gekoppelt mit starken Emotionen wie Schuld, Scham oder Aggressivität. Die Anerkennung, nach der sich Narzissten sehnen, ist dem Bild geschuldet, das sie von sich selbst entwickelt haben: Ihrer Grandiosität, ihren Fantasien grenzenlosen Erfolgs. Diese Anerkennung wird nicht nur eingefordert, sondern „der pathologische Narzissmus tendiert dazu, Zuwendung zu erzwingen.“ (Lempart 2015, 25) Dieser Zwang wird durch den Einsatz verschiedener Verhaltensweisen ausgeübt – durch theatralische Auftritte, übertriebenes Engagement, Besserwisserei oder durch Anweisungen an andere. Diese Verhaltensweisen erfordern aber viel Energie und sind sehr oft von Frustrationen begleitet, wenn die anderen sich diesem Spiel nicht anschließen. Die daraus folgende narzisstische Kränkung lässt sich im Sprachgebrauch sichtbar machen: „Schwierig sind die anderen“, heisst es dann zum Beispiel (andere Redeweisen finden sich bei Lempart 2015, 159-171).

Horst Lempart sieht in den erlebten narzisstischen Kränkungen vor allem „eine normale Reaktion auf ein abnormes Ereignis“ (Lempart 2015, 18) und versteht sie als Ausgangspunkt, um wieder Kontakt zu seinen Bedürfnissen und Wertvorstellungen kommen zu können.
Der erste Teil beinhaltet natürlich auch die Beschreibung der diagnostischen Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Aber Horst Lempart konzentriert sich vor allem auf die Darstellung der verschiedenen Persönlichkeitsanteile, die gehäuft mit narzisstischen Verhaltensweisen einhergehen – abhängige, ängstliche, zwanghafte, antisoziale, Borderline-Persönlichkeitsanteile. 

Im Kern dieses ersten Kapitels steht das Kränkungsmodell bei Klienten mit narzisstischem Persönlichkeitsstil (Lempart 2015, 42), das auch die Interventionsmöglichkeiten aufzeigt.
Im zweiten Teil veranschaulicht Horst Lempart seinen Zugang zum Narzissmus anhand von Praxisfällen, in denen jeweils einzelne Aspekte des narzisstischen Persönlichkeitsstils herausgearbeitet werden. Die theoretischen Kernelemente bekommen in diesem Teil praktischen Ausdruck und es werden auch die Interventionen erklärt, mit denen der Klienten dabei unterstützt werden kann, mehr Klarheit über sich und sein Verhalten zu erlangen. (z.B. Transaktionsanalyse, Reframing)

Im dritten Teil folgt eine Zusammenfassung und vor allem Arbeitsblätter zur Selbsterfahrung. 

Fazit

„Narzisstische Persönlichkeiten sind besonders kränkungsanfällig, wenn ihre Interaktionspartner nicht in manipulative Spiele einsteigen.“ (Lempart 2015, 35) Krisen und Kränkungen können ein sehr vielversprechender Anlass für Veränderungen sein, wenn der Leidensdruck entsprechend groß ist, wie der Veränderungswunsch. „Voraussetzung dafür ist eine Verschiebung der inneren Referenzpunkte bezüglich dessen, was als wirklich und als möglich akzeptiert werden muss.“ (Rudolf 2015, 119) Horst Lempart hat sein Buch mit einem Abschlusskapitel versehen, das den Titel trägt „Wer ich bin oder wer ich sein könnte“ (Lempart 2015, 201) – damit werden genau diese Referenzpunkte angesprochen, die es zu erkennen und zu verschieben gilt, wenn man gelingende Beziehungen aufbauen und fortführen möchte. „Schätzen sich Menschen im Allgemeinen als sehr selbstwirksam und kompetent ein und zeigen auch gewöhnlich weniger Leistungsängstlichkeit (Angst vor Misserfolg), dann erleben sie Situationen generell als kontrollierbarer und nehmen vergleichbare Anforderungen eher im Sinne einer Herausforderung wahr.“ (Zeyer 2012, 15)

Horst Lempart ist ein sehr übersichtliches Buch zum Thema Narzissmus gelungen (in diesem Zusammenhang spricht er vor allem von narzisstischen Persönlichkeitsanteilen). Gerade im ersten Teil des Buches wird klar, welchen Energieaufwand es für Menschen bedeutet, ihren narzisstischen Persönlichkeitsanteilen wenig Beachtung zu schenken, und den unvermeidlichen narzisstischen Kränkungen immer und immer wieder ausgesetzt zu sein. Horst Lempart zeigt auch sehr schön, dass die Beratungssituation von diesen Menschen nicht aufgrund ihres Narzissmus aufgesucht wird, sondern weil sich in ihren Leben Spannungen und Belastungen häufen, die sie gerade nicht mit ihrem Narzissmus in Verbindung bringen. „Im Coaching können wir solche Klienten dabei unterstützen, wieder mit ihren blockierenden Gedanken, belastenden Gefühlen und automatisierten Verhaltensweisen in Kontakt zu kommen. Im Alltag ist das für den narzisstisch geprägten Anteil schwer zu realisieren, da er von der Zuwendung anderer Menschen abhängig ist. Abhängigkeit ist aber keine gute Voraussetzung, um sich Wahlfreiheiten zu schaffen.“ (Lempart 2015, 39) Ein Zugang ganz im Sinne des radikalen Konstruktivismus: Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird. (vgl. Glasersfeld 1997, Foerster et al. 2011 und 2010)

Eine interessante Expertenrunde zum Thema Narzissmus und Gesellschaft findet sich hier: www.youtube.com/watch?v=UWNXvnNgwCY

Harald G. Kratochvila, Wien

Verwendete Literatur:

Bauer, J. (2015). Selbststeuerung - Die Wiederentdeckung des freien Willens. München (GER), Karl Blessing Verlag

Foerster, H. v. und B. Pörksen (2011 [1998]). Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners - Gespräche für Skeptiker. Heidelberg (GER), Carl-Auer Verlag

Foerster, H. v. und E. v. Glasersfeld (2010 [1999]). Wie wir uns erfinden - Eine Autobiographie des radikalen Konstruktivismus. Heidelberg (GER), Carl-Auer Verlag

Glasersfeld, E. v. (1997 [1995]). Radikaler Konstruktivismus - Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt/Main (GER), Suhrkamp Verlag

Holm-Hadulla, R. M. (2015). Integrative Psychotherapie - Zwölf exemplarische Geschichten aus der Praxis. Stuttgart (GER), Klett-Cotta

Kastner, H. (2012). Schuldhaft - Täter und ihre Innenwelten. Wien (AUT), Verlag Kremayr & Scheriau

Reddemann, L. (2006). Überlebenskunst. Stuttgart (GER), Klett-Cotta

Rudolf, G. (2015). Wie Menschen sind - Eine Anthropologie aus psychotherapeutischer Sicht Stuttgart (GER), Schattauer

Zeyer, R. (2012). Hypnotherapeutische Strategien bei akutem und chronischem Stress Heidelberg (GER), Carl-Auer Verlag

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